Klartext

Schrei nach Aufbruch! Münsters Parteien ringen nach der Kommunalwahl

Im Haushalt der Stadt Münster klafft ein großes Loch. (Symbolbild/Foto: Allie Caulfield/CC BY 2.0)

Die Suche nach Mehrheiten im Stadtrat dauert nach der Kommunalwahl an. (Symbolbild/Foto: Allie Caulfield/CC BY 2.0)

Jetzt mal Butter bei die Fische! Was läuft eigentlich seit der Kommunalwahl politisch hinter Münsters Rathausfassaden? Unser Gastautor Rüdiger Sagel sucht Antworten.

Nachdem die Bürgerschaft bei der Kommunalwahl einen deutlichen “Schrei nach Aufbruch” von sich gegeben hatte, ist es nicht nur coronabedingt merkwürdig still geworden in der Domstadt. Der politisch Interessierte fragt sich: Was passiert eigentlich in den Hinterzimmern des Rathauses am Prinzipalmarkt? Gibt es nun einen radikalen Politikwechsel mit den grünen Wahlsiegern oder dümpelt Münster weiter in beschaulicher Bürgerlichkeit im CDU-Grünen-“Weiter so”-Modus, wie die letzten fünf langen Jahre?

Mehrheit, Kurs und Profil: Nach wie vor ist unklar, wie es im Rat der Stadt Münster nach der Kommunalwahl am 13. September 2020 weitergeht. Ob tatsächlich angesichts Corona-Lockdown den ganzen November, wie zwischen den Parteien vereinbart, verhandelt werden kann, das ist zurzeit durchaus offen. Aus den Tiefen des Rathauses kann man aber immerhin hören, dass Münsters Ratsbündnis, welches bis zur Ratssitzung am 9. Dezember 2020 stehen soll, eine neue und sozial-ökologisch orientierte Ausrichtung haben soll. Und hierfür wohl am ehesten eine Ratsmehrheit mit Grünen, SPD und Volt in Frage kommt.

Dieses Bündnis hätte allerdings nur ein Mandat mehr im Stadtrat als dafür erforderlich. Kein Wunder, dass nicht nur deswegen in diesem Zusammenhang die Frage aufgeworfen wird: Sollte statt den VOLT-Neulingen doch bei Grün-Rot nicht eher die FDP im Boot sein? Eine Konstellation, die Münsters Leitmedium “Westfälische Nachrichten” seit Wochen herbeizuschreiben versucht, wenn schon eine ungeliebte Mehrheit jenseits der CDU zustande kommt. Diese politische Ampel wäre zwar ein Novum in Münster, ist aber bei den Grünen denkbar unbeliebt. Die SPD muss sich allerdings die Frage gefallen lassen, ob dies nicht die bessere Alternative für sie ist. Oder will sie sich als Reformbremse und Bedenkenträger zwischen den Öko-Grünen und Volt-Dynamikern endgültig verheizen lassen?

Politische Farbenspiele

Schon bei dieser Wahl hatten so wenige Wähler*innen wie nie zuvor bei der Sozialdemokratie ihre Stimme abgegeben. Während in den ruhigen, familienfreundlichen und teils verschnarchten Vorort-Stadtteilen mehrheitlich das christliche Kreuz weiter brav bei der CDU abgeliefert wurde, machten in der Innenstadt Gymnasiasten, Studierende und Besserverdienende in großer Zahl ihr “Ablasskreuz” mit großer Überzeugung bei den Grünen – um dann auch weiterhin beruhigt in den Urlaub fliegen zu können oder sich zunehmend dem Laptop-orientierten Konsum hinzugeben. Wie und wo will die SPD zukünftig Profil zeigen, wenn schon jetzt nur noch sehr wenige Menschen einen Rest von Gebrauchswert bei den Sozis erkennen?

Andere Konstellationen sind wohlbegründet ausgeschlossen. Denn die Linke hatte sich mit widersprüchlichen Aussagen direkt nach der Wahl bereits frühzeitig selbst disqualifiziert, die neue Liste “Münster – bunt und international” (MBI) hat sich direkt zerlegt und verfügte ohnehin nur über einen Sitz und die neu zusammengefügte Ratsgruppe ÖDP/Die Partei ist zurzeit nicht auf dem Spielfeld sichtbar.

Und es müssen – nicht nur in Rathauskreisen – auch weitere Fragen gestellt werden: Ist jede Koalition jenseits der CDU nicht sowieso nur auf kurze Zeit angelegt? Sollten sich CDU und Grüne doch wieder lieb haben, um dann wesentlich einfacher ihre jeweiligen Ziele umzusetzen? Denn dadurch gäbe es eine satte Ratsmehrheit und Münsters Bürgertum in Vororten und Innenstadt wäre wieder in einer Koalition versöhnt.

Politikwechsel oder “Weiter so”?

Kann mit Grüne/SPD/Volt tatsächlich ein sachlicher Politikwechsel realisiert werden? Denn die nach wie vor stärkste Ratsfraktion CDU sowie FDP und Andere wollen keine politische Wende und schon gar nicht eine “autofreie Innenstadt” oder weitere ambitionierte Vorhaben. Und kann ein “Musikcampus” nicht nur gegen die CDU, sondern auch gegen einen Teil des gut organisierten Bürgertums verhindert werden?

Auch jetzt erhebt sich schon Gegenwind der “Weiter so”-Fraktion: “Die Folgen der aktuellen Corona-Lage bringen auch Münster in eine gefährliche Lage. 2021 wird ein grausames Jahr.” So zitiert Münsters CDU-Ratsfraktion in einer Pressemitteilung CDU-Mitglied Oberbürgermeister Markus Lewe. In Münster sei aktuell kein Platz “für politische Spielchen und ideologische Wolkenschiebereien”, wird da schon mal Werbung in eigener Sache betrieben und werden Pflöcke eingeschlagen.

Der Auto: Rüdiger Sagel ist ein politisches Urgeistein in Münster. Lange Jahre saß er erst für die Grünen, dann für die Linkspartei erst im Landtag, dann im Stadtrat. Seine aktive politische Karriere hat er mit Ablauf der Legislaturperiode beendet.
Der Autor: Rüdiger Sagel ist ein politisches Urgestein in Münster. Lange Jahre saß er erst für die Grünen, dann für die Linkspartei zunächst im Landtag, zuletzt im Stadtrat. Seine aktive politische Karriere hat er mit Ablauf der Legislaturperiode beendet.

Dass die seit 1999 ununterbrochen regierende CDU laut eigener Aussage “Stabilitätsanker der münsterschen Kommunalpolitik” ist, wird je nach Klientel durchaus unterschiedlich bewertet. Denn ist es nicht Fakt, dass die CDU nicht nur die Stadtpolitik wesentlich bestimmt, sondern gleichzeitig auch vieles verhindert hat, was ihr politisch nicht in den Kram passte?

So wurde zwar nicht im Städtevergleich, aber angesichts des tatsächlichen Bedarfs in Münster der Wohnungsbau drastisch vernachlässigt. Das bedeutete nach wie vor exorbitant hohe Mieten und tausende fehlende Wohnungen. Gleichzeitig profitierte eine Immobilienmakler- und Miethai-Szene, die sich auch in der CDU-Spitze und -Ratsfraktion wiederfindet, jedoch in nie gekanntem Maße von den abgeschöpften Profiten zulasten oft finanziell mehr als schlecht gestellter Mieter*innen. Und wurden und werden von ihr nicht unsinnige Verkehrsprojekte durchs Stadtgebiet, wie der Ausbau der Autobahn A 43 (Umgehungsstraße nach Telgte) und ein Millionen kostender Flughafen weiter betrieben?

Profil zeigen – aber wie?

Wenn die derzeitige grüne Verhandlungsstrategie in Richtung eines Dreierbündnisses aufgeht, wird es aber auch für die Bündnispartner SPD und Volt darum gehen, Profil zu zeigen oder erst zu entwickeln. Doch wollen sie jetzt ihre Wahlversprechen auch nur im Ansatz einlösen, bleibt ihnen dann eine andere Wahl?

Alle anderen Parteien können sich in die einfache Rolle einer Opposition begeben, die wie die CDU alles tun wird, um ambitionierte Vorhaben wie die “autofreie Innenstadt” zu verhindern. Ganz zu schweigen von der FDP, die alles, was angeblich nicht finanzierbar ist, kritisieren wird, oder den Linken, denen ohne eigene konkrete finanzierbare Vorschläge und Sachkenntnisse trotzdem alles nicht weit genug geht.

Auf die weitere politische Entwicklung und die Rolle der Parteien in Münster darf man vor diesem Hintergrund gespannt sein.

Aber: Es ist sicherlich einfacher, die Realität zu beschreiben, als sie zu verändern.


Bleibt immer auf dem Laufenden mit unserem Wiedertäufer-Nachrichtendienst!

Schreibe einen Kommentar