Münster

Verwaister Straßenstrich: Die Not der Frauen von der Siemensstraße

Der Straßenstrich an der Siemensstraße ist derzeit verwaist.

Der Straßenstrich an der Siemensstraße ist derzeit verwaist.

Sie gehören normalerweise zum Straßenbild in dem Gewerbegebiet zwischen Hammer Straße und Kanal. Doch in den Zeiten von Corona ist alles anders. Die Prostituierten dürfen auf dem Strich an der Siemensstraße ihrer Arbeit nicht nachgehen. Für sie musste nach dem Lockdown Hilfe organisiert werden. 

An der Siemensstraße ist in diesen Wochen alles anders als sonst. Wenn die Sonne geht, dann kommen normalerweise die Sexarbeiterinnen und bieten ihre Dienste feil. 30 bis 40 Euro kostet das die Freier, die normalerweise mit dem Auto vorgefahren kommen. Diese Zeiten sind seit dem Corona-Lockdown vorbei, ein Ende ist vorerst nicht in Sicht. Einige Bundestagsabgeordnete forderten kürzlich gar ein generelles Verbot der Prostitution.

Die Frauen, die sonst abends an der Siemensstraße stehen, haben andere, handfestere Probleme. Mit dem Lockdown ist ihnen ihre Existenzgrundlange entzogen worden.Von dem einen auf den anderen Tag durften sie ihrem Beruf nicht mehr nachgehen. Kein Einkommen mehr, kein soziales Netz, schon gar keine Krankenversichrung.

Lebensmittel fehlten

“Die Versorgung mit Lebensmitteln ist elementar”, berichtet Yanica Grachenova vom Gesundheitsamt der Stadt. Sie koordiniert die Arbeit der Ehrenamtlichen, die sich bereits seit 2013 im Rahmen des Projekts Marischa für die Frauen von der Siemensstraße einsetzen. Normalerweise helfen sie mit einer Tasse Kaffee, Kondomen oder einem offenen Ohr für die Sorgen der Frauen.

Die haben sich zuletzt gewandelt, es ging darum, die Sexarbeiterinnen mit dem Nötigsten – also auch Kleidung und Hygieneartikeln – zu versorgen. Über einen Aufruf seien zuletzt viele Spenden zusammengekommen, die Bahnhofsmission und die Coesfelder Tafel halfen ebenfalls.

Darüber hinaus sind manche Frauen von Obdachlosigkeit bedroht. “Sie übernachten für kurze Zeit bei Verwandten und Bekannten”, erklärt Grachenova. Das sei bei vielen Frauen aber auch sonst so, die Fluktuation auf dem Straßenstrich hoch. Im Extremfall will Marischa helfen, hier nach Alternativen zu suchen und bei Bedarf auch finanzielle Unterstützung leisten.

Nicht zuletzt ist auch die Gesundheit ein wichtiges Thema. Die Frauen und – wenn diese ebenfalls in Deutschland leben – ihre Familien sind nicht krankenversichert. Neben der psychischen Betreuung der Frauen geht es derzeit auch um gesundheitliche Aufklärung in Hinblick auf das Corona-Virus – und besonders das Einhalten der damit einhergehenden Regeln. “Dafür haben die Frauen ein ganz anderes Verständnis und Bildungsniveau”, sagt die Sozialarbeiterin, die bei der Stadt für das Projekt angestellt ist.

Aufstieg an der Siemensstraße

Eine Rückkehr in die Heimat – in fast allen Fällen Bulgarien – kommt allein vor dem Hintergrund des Corona-Lockdown nicht in Frage. “Sie müssen diese Situation durchhalten, nicht arbeiten zu dürfen”, sagt Grachenova, die mit den Frauen in ihrer Muttersprache kommunizieren kann. “Sie fragen ständig, wann sie wieder arbeiten können.” Daran hängt letztlich nicht nur ihr eigenes Schicksal, sondern auch das ihrer Familien in der Heimat, die auf das Geld aus Deutschland angewiesen sind.

“Die Arbeit hier ist schon eher ein Aufstieg, hier bekommen sie mehr Geld”, erläutert Grachinova. “Aus deren Sicht ist das gut hier zu arbeiten.” So seien die Frauen hier beim Ordnungsamt gemeldet. Und – noch wichtiger in dieser Situation – das Marischa-Team hat für einige der Frauen erstmals Unterstützung beim Jobcenter beantragt.

Mehr zum Thema: Eine Reportage des “Spiegel” und ein Kurzfilm von Marischa. 


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