Stadtgeschichte(n)

Besser spät als nie: LWL-Museum arbeitet Versäumnisse bei der Provenienzforschung auf

Elina van Dijk erforscht die Provenienzen von 140 ausgewählten Bildern im LWL-Museum.

Die Kunsthistorikerin Eline van Dijk erforscht die Provenienzen von 140 ausgewählten Bildern im LWL-Museum.

Das LWL-Museum für Kunst und Kultur stellt sich der Vergangenheit: Im August 2018 startete ein Projekt zur systematischen Untersuchung des Gemäldebestandes seiner Galerie der Moderne. Etwaige Lücken in der Historie der Werke sollen aufgedeckt und im Sommer diesen Jahres öffentlich gemacht werden – eine Sisyphusarbeit, die erst spät ihren Anfang nahm.

Die Herkunft von Kunstwerken erzählt viel über ihre Geschichte. In diesem Fall über die deutsche Geschichte, genauer gesagt über ihr dunkelstes Kapitel. Während des Zweiten Weltkriegs waren viele Juden gezwungen, ihren Besitz bei Emigration, Inhaftierung oder Deportation zurückzulassen. Während des Dritten Reichs und besonders in den Wirren der Nachkriegszeit sind so zahlreiche Kulturgüter auf den Markt und in die Museen gelangt, ohne dass die ursprünglichen Besitzverhältnisse – die so genannte Provenienz – geklärt und die Bilder restituiert werden konnten.

Dieses Thema ist auch 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aktuell. 1998 waren die Washingtoner Prinzipien verabschiedet worden. Hierbei handelt es sich um internationale Richtlinien zum Umgang mit NS-Raubkunst. Das Ziel: Insbesondere ihren jüdischen Besitzern während des Nationalsozialismus entzogene Kulturgüter sollen identifiziert werden, um im nächsten Schritt eine faire Lösung mit deren früheren Besitzern oder Erben auszuhandeln.

Das Problem: Bei der Einhaltung der Prinzipien handelt es sich um “eine zwar politisch-ethisch bedeutsame, allerdings nicht rechtlich bindende Verpflichtung”, sagt eine Sprecherin der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste. Die Initiative für Projekte im Bereich Provenienzforschung müsse von den Einrichtungen beziehungsweise den Trägern selbst ausgehen.

140 von 800 Werken untersucht

So braucht es 20 Jahre, bis sich das LWL-Museum entschließt, die Provenienz der in Frage kommenden Werke in seinem Bestand unter die Lupe zu nehmen. Mit Unterstützung der Stiftung beauftragt das Museum die Kunsthistorikerin Eline van Dijk mit der Aufarbeitung. Bei ihrer Arbeit legt sie den Fokus auf Werke, die vor 1945 entstanden sind und nach 1933 in den Besitz der Einrichtung gelangt sind.

Dabei ist zu beachten, dass ein Großteil der Kunst der Moderne in den 50er und 60er Jahren erworben wurde. Ein Bewusstsein für die Notwendigkeit einer lückenlosen Provenienz musste erst erschaffen werden, womit die teilweise dürftige Dokumentation der Herkunft der Bilder zu erklären ist. Die Sammlung der Moderne umfasst ca. 800 Werke, von denen van Dijk 140 genauer unter die Lupe genommen hat.

Es handelt sich um Objekte, die im Regelfall nicht direkt vom Künstler erworben wurden, sich nicht durch einen Nachlassstempel authentifizieren lassen oder nach 1945 ihren Weg in die Sammlung fanden. Und hier beginnt die Detektivarbeit. Nach erster Untersuchung der Zettel und Stempel auf der Rückseite eines Gemäldes, die möglicherweise Auskunft über etwaige Vorbesitzer oder Ausstellungen geben, müssen die Akten des Hausarchivs eingesehen und einschlägige Literatur konsultiert werden.

Auch nationale und internationale Archive können auf etwaige Künstlernachlässe oder Wiedergutmachungsakten verweisen. Zudem können Geschäftsunterlagen von Kunsthändlern oder Privatsammlern Auskunft darüber geben, auf welchem Weg das Objekt in den Besitz des Museums gelangt ist. Etwaige Lücken in der Biografie der Bilder sollen kenntlich gemacht werden, nicht zuletzt um den Verdacht aus dem Weg zu räumen, es könne sich NS-Raubkunst im Bestand des LWL-Museums befinden.

Der Fall Gurlitt machte auch Druck auf das LWL-Museum

Bereits vor Beginn des Forschungsprojektes am LWL-Museum für Kunst und Kultur ist es in vier Fällen zu Restitutionen gekommen, von denen drei Objekte im Anschluss wieder für das Museum zurückgekauft werden konnten. In diesen Fällen habe das Museum allerdings jeweils auf konkrete Anfragen von außen bezüglich der Herkunftsnachweise der Objekte reagiert.

Seit 2018 wollte man sich nun endlich proaktiv um die Besitzverhältnisse des eigenen Bestandes kümmern. Der gesellschaftliche Druck habe sich, so van Dijk, seit des Fundes von rund 1500 Werken bei dem Sohn des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt im Jahr 2013 erhöht, was schließlich zu einer Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Thema NS-Raubkunst geführt habe. Man fragte sich folglich, was noch alles in Museen und Privatbesitz schlummere.

Ein neuer Restitutionsfall habe sich während der Forschungsarbeiten von van Dijk nicht ereignet. Es seien auch keine weiteren Verdachtsfälle aufgetaucht, aber die habe es auch zu Beginn des Projektes nicht gegeben, betont Tanja Pirsig-Marshall, Kuratorin der Sammlung Moderne und Leiterin des wissenschaftlichen Dienstes.

Die Erkenntnisse, die van Dijk aus ihrer zweijährigen Forschungsarbeit zieht, sind dennoch bewegend und aufschlussreich. Einige Lücken konnten geschlossen, einige Ungereimtheiten aufgeklärt werden, aber besonders erkenntnisreich seien für van Dijk die Schicksale der Menschen hinter den Kunstobjekten. Jedes der untersuchten Gemälde habe schließlich die Zeit des Nationalsozialismus irgendwie miterlebt und die Schicksale der Menschen seien dabei untrennbar mit der Verlustgeschichte von Kulturgütern verbunden. Bei einem Objekt sei die Provenienz noch ungeklärt, da bisher nicht ausgemacht werden konnte, wie lange es sich bei seinem jüdischen Vorbesitzer befunden habe. Aber gerade solche Lücken gilt es kenntlich und öffentlich zu machen.

In Hinblick auf die vergleichsweise späte Aufarbeitung räumt van Dijk ein, dass die Provenienzforschung sicherlich eine Sache der Prioritäten sei. Das LWL-Museum sei zwar kein Vorreiter, folge aber jetzt dem allgemeinen Trend der Bewusstmachung und komme damit seiner Verantwortung als Bildungsstätte nach.

“Späte Entscheidung”

Thomas Goeken, Galerist im Münsteraner Kuhviertel, kritisiert die späte Entscheidung, sich mit den Besitzverhältnissen seines Bestandes auseinanderzusetzen. Gerade als Kommunalverband, der sich aus Steuergeldern finanziert, habe der LWL seiner Transparenzpflicht gegenüber den Bürgern Folge zu leisten.

Knapp 75 Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges stellt sich das Münsteraner Museum nun also seiner Geschichte und lässt auch seine Besucher an den gewonnenen Erkenntnissen teilhaben. Die Ausstellung “Eine Frage der Herkunft – Geschichte(n) hinter den Bildern” soll ab dem 30. Juli diesen Jahres Auskunft über die Ergebnisse des Provenienzforschungsprojektes geben. Eine Verlängerung des Forschungsprojektes ist bereits beantragt und so soll es im nächsten Vorhaben um die Herkunftsgeschichten der Alten Kunst gehen. Schließlich gibt es immer noch eine Menge zu tun.


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