Klartext Redaktionsblog

Lokaljournalismus ohne Limit

Symbolbild Lokaljournalismus: ein Stapel Zeitungen. Berichterstattung Missbrauchsvorwürfe in Münster.

Im Lokaljournalismus tut sich etwas. Nicht nur in Münster machen sich neue Anbieter auf, um das Monopol der lokalen Tageszeitungen zu brechen. Doch bis zur Etablierung von publizistischen Alternativen auf Augenhöhe ist noch ein weiter Weg zu gehen. Ein Essay.

Lasst mich zu Beginn eine Geschichte erzählen. Die geht so: Kürzlich gab es Ärger an der Achtermannstraße. Der Besitzer eines Hauses wollte die an der Fassade angebrachte Wandmalerei überpinseln, seine Mieter waren dagegen. Die Sache landete schnell vor dem Amtsgericht. Eine Woche später berichteten schließlich die “Westfälischen Nachrichten” über das Ergebnis jenes Treffens vor dem Kadi.

Die Autorin macht in dem Artikel nicht deutlich, wann der besagte Termin, bei dem sie selbst nicht anwesend war, stattgefunden hat. Sie nennt keine Quelle für die Informationen und spricht von einer “Gerichtsentscheidung”. Das ist sachlich falsch, denn die Mieter haben einen Vergleich mit der Gegenseite geschlossen. Der beinhaltete die Rücknahme der von ihnen erwirkten Einstweiligen Verfügung. Kann man in einem Lokalblog nachlesen.

Warum ich das erzähle? Diese Geschichte ist exemplarisch. Hier ist der Habitus eines Monopolisten zu erkennen, der sich seiner Position allzu sicher scheint.

Von Monopolen profitieren nur deren Besitzer

Seitdem die “Münstersche Zeitung” nur noch als Zombie-Zeitung unter dem Dach des WN-Verlags Aschendorff existiert (Anna von Garmissen hat das im vergangenen Jahr für “Übermedien” seziert), gibt es keinen wirklichen Wettbewerber mehr auf dem lokalen Markt. Und Monopole nützen nur dem, der sie inne hat, das ist in Münster sehr deutlich zu sehen.

Das Produkt hingegen leidet, wie das eingangs angeführte Beispiel verdeutlicht. Aber das ist aus Sicht des Monopolisten allenfalls zweitrangig, denn die Konsumierenden haben keine Alternative. Wettbewerb spornt zu Leistung an, zu Innovation. Seine Abstinenz kehrt das Ganze um.

Diese Entwicklung ist problematisch. Finde ich keine Butter im Kühlregal, kaufe ich eben Magarine. Bei Medien haben wir es nicht mit irgendeinem Produkt zu tun. In den USA ist das bereits ganz konkret zu beobachten. Hier gibt es bereits Landkreise ohne eine Tageszeitung. Eine Studie legt nahe, dass die Verschwendung von Steuergeldern in diesen Gebietskörperschaften zunimmt, weil die Kontrollfunktion durch die Medien fehlt.

Schlussendlich leisten Medien einen Beitrag zu einer pluralistischen Gesellschaft, zu einer funktionierenden Demokratie. Das impliziert auch den Wettbewerb unter den Medien, wenngleich ich den oftmals angeführten Begriff der “Meinungsvielfalt” kritisch sehe und hier eher von einer “Angebotsvielfalt” sprechen würde.

Die gedruckte Zeitung wird sterben – schon sehr bald

Spätestens zu Beginn der 90er Jahre hat der Auflagenschwund der Tageszeitungen eingesetzt. Das Internet dürfte diese Entwicklung noch beschleunigt, aber nicht ausgelöst haben. Seither geht es stetig bergab: Die durchschnittliche Auflage der Regional- bzw. Lokalzeitungen sank von 18,1 Millionen in 1995 auf 10,3 Millionen in 2020. Zudem sinken die Werbeerlöse.

Die Cash Cow Tageszeitung gibt noch Milch, aber ihr Fettgehalt schwindet und der Fluss an sich versiegt. Die Verlage drehen bis an die Schmerzgrenze und darüber hinaus an der Kostenschraube: Personalabbau, Ausgaben werden eingestellt, Redaktionen geschlossen, die Marktkonsolidierung vorangetrieben (mehr Infos zum Thema in dieser Studie). Die Auswirkungen manifestieren sich nicht nur in der Bilanz, sondern auch in der Geschichte mit dem Wandbild.

Zugleich können die Internet-Aktivitäten den Umsatzschwund beim Printgeschäft nicht ausgleichen. Schon gar nicht mit Werbung, weswegen immer mehr Verlage mit harten Paywalls Umsätze generieren wollen – und so zugleich Abbitte leisten für die Ursünde des Online-Journalismus, nämlich kostenfreien Content. Der angefixte User muss an das Bezahlen gewöhnt werden.

Und es wird nicht mehr lange dauern, bis wir eine Zäsur am Markt erleben werden. Vor nicht allzu langer Zeit erzählte ein stellvertretender Chefredakteur einer renommierten Tageszeitung in kleiner Runde, er gehe davon aus, dass sein Blatt ab Mitte der Dekade nicht mehr gedruckt erscheinen werde. Schon heute übrigens drängt der Verlag seine Abonnenten – besonders im ländlichen Raum – Tablets geradezu auf, um die galoppierenden Vertriebskosten zu senken.

Neue Akteure im Lokaljournalismus

Auf der anderen Seite ist zu beobachten, dass neue Akteure sich auf dem Markt des Lokaljournalismus zu etablieren versuchen. In Münster haben wir mit “Rums” seit einem Jahr ein viel beachtetes Projekt mit inzwischen 1500 zahlenden Abonnenten. Für eine nachhaltige Finanzierung reicht diese Basis nach Aussage der Macher aber noch nicht. (Disclaimer: Ich schreibe selbst regelmäßig für “Rums”.)

In den vergangenen Tagen machten zwei weitere Projekte von sich reden. “Katapult MV” hat bereits Zusagen über 20.000 Euro pro Monat eingesammelt und will eine neue Online-Tageszeitung für Mecklenburg-Vorpommern starten. In Düsseldorf sammelt “VierNull” derzeit Geld ein für den Start, der im Mai erfolgen soll.

Die Beispiele zeigen: Es tut sich derzeit etwas im Lokaljournalismus. Inwieweit sich die neuen Anbieter dauerhaft etablieren werden, wird die Zeit zeigen. Fest steht aber: Im Netz sind die Markteintrittsbarrieren deutlich geringer als im klassischen Zeitungsgeschäft. Das eröffnet Möglichkeiten für alternative Angebote. Der heilige Gral, das funktionierende Geschäftsmodell, wird indes weiterhin gesucht.

Eine große Chance?

Die Konsumenten hingegen müssen sich von dem Gedanken verabschieden, dass neue Akteure ein ansatzweise umfassendes Vollprogramm liefern werden wie das jetzt bei den dahinsiechenden Lokalzeitungen der Fall ist.Wer sich über den Kaninchenzüchterverein informieren möchte, muss das auf dessen Website oder im Social Web tun.

Die neuen Medienprodukte werden schlanker sein und Journalismus anders und auf anderen Plattformen erzählen. Sie werden aber nicht alles erzählen und dabei auch nicht jeden Geschmack bedienen (können). Von dieser Erwartungshaltung müssen sich die Konsumierenden im Umkehrschluss lösen.

Auf der anderen Seite werden die alten Platzhirsche das Produkt Tageszeitung vom Trägermedium Papier lösen. Wenn nicht Mitte, dann vielleicht Ende der Dekade. Sie haben schlichtweg keine andere Wahl.

Und darin liegt eine große Chance – vor allem für die neuen Akteure im Lokaljournalismus.

Anm.: Ich habe in einer vorherigen Version dieses Artikels geschrieben, dass das Cuba die Einstweilige Verfügung zurückgezogen hat. Dies war Teil eines Vergleichs. Das Cuba darf im Gegenzug eine Plane mit der Abbildung anbringen. Ich bitte die Ungenauigkeit zu entschuldigen.

Ich habe in einer vorherigen Version dieses Artikels fälschlicherweise geschrieben, dass Katapult 20.000 Euro eingesammelt habe. Diese Summe bezieht sich auf die Zusagen der künftigen Abonnenten pro Monat. Ich bitte den Fehler zu entschuldigen.


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  1. Bei uns im ländlichen Raum (Nottuln) stehen in der WN auch immer wieder Artikel ohne Autor, die dann nur Copy-Paste einer Pressemitteilung sind. Hier geht für mich dann komplett die (kritische) Einordnung verloren, gerade wenn es sich um PMs von politischen Parteien handelt. (Ich bin selbst Parteimitglied und habe das bei PMs „meiner“ Partei so erlebt)

      1. Hier stehen tatsächlich die vollen Autorennamen über dem Artikel. Und wenn da keiner steht, weiß man, dass es quasi „PD“ ist. Ob das aber allen Leser:innen so bewusst ist, bezweifele ich …

  2. ja, die Lokalzeitungen, eine Story ohne Happy End für den Leser, will ich meinen. Bei uns gibts nur am Samstag eine MZ, die mit 2,70€ für den gebotenen Inhalt sehr grenzwertig im Preis ist. Man merkt, das bei denen in der Redaktion etc. Personal gespart wird, denn die Artikel sind teilweise so mies von der Grammatik und Rechtschreibung, das ist einfach nur gruselig. Aber die Autor*innen scheinen nicht in der Lage zu sein, die automatische Rechschreibung zu nutzen.

    Die na dann ist ja nun wirklich keine echte Infoquelle, eher ein kostenloses Anzeigenheftchen, die Ultimo kommt leider nur alle paar Wochen, ist in ein paar Bereichen sehr amüsant, aber eben auch keine wirkliche Quelle für Lokalgeschichten.

    Abonnent der RUMS bin ich auch von Anfang an, die Artikel sind meist sehr interessant geschrieben und betreffen wirklich lokale Gegebenheiten. Natürlich erwarte ich nicht, das mir alle Artikel vom Thema oder Inhalt zusagen. Ich wünsche mir jedoch, dass das Format Bestand hat.

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