Klartext

Modellstadt abgesagt, Münster versinkt im Corona-Chaos

Corona: Maskenpflicht gilt in der Stadt.
Corona-Hotspots, rasant steigende Inzidenzwerte, fehlender Impfstoff, viele Menschen unter 80 sind noch nicht geimpft. Gleichzeitig wollte Münster bis zuletzt Modellstadt werden. Was und warum bei uns so vieles schief läuft, fragt sich unser Kolumnist Rüdiger Sagel. 
Nicht zum ersten Mal hat sich in Münster ein Hotspot entwickelt. Diesmal sind es 29 Bewohner*innen und zwei Mitarbeiter*innen des Hauses der Wohnungslosenhilfe, die sich mit dem Corona-Virus infiziert haben. Im Gegensatz zu vielen Altenheimen, wo auch alle Bewohner*innen geimpft wurden, war das hier nicht der Fall.
Warum wurden und werden auch in anderen sozialen Einrichtungen nur Mitarbeitende geimpft? Warum wird in erwiesenermaßen gefährdeten, weil räumlich dicht gedrängten Einrichtungen oder Wohnformen, wie Studentenwohnheimen, wo nach Coronafällen gerade in einem Fall 80 Studierende in Quarantäne waren, nicht vordringlich geimpft?

Das zentrale Problem ist weiterhin fehlender Impfstoff

Münsters Inzidenz ist so hoch wie seit zwei Monaten nicht und hat am Mittwoch die Marke von 90 überschritten. Tendenz: weiter steigend. Trotzdem hielt die Stadtspitze bis zu diesem Tag weiter am Modellversuch fest, obwohl vieles alles andere als gut läuft, die Schulen nach Ostern noch eine Woche geschlossen waren und die Auswirkungen der Ostertage in der Statistik immer noch nicht voll erfasst sind.
Noch diese Woche konnten Hausarztpraxen bereits feste Impftermine von Alten und besonders gefährdeten Patienten nicht einhalten, weil kein Impstoff geliefert wurde, wie mir aus meinem persönlichen Umfeld berichtet wurde. So schreitet die Impfkampagne auch in Münster nur schleppend voran.
Trotzdem wurden die immer wieder verkündete Altersstruktur über die Ostertage einfach mal kurzfristig durchbrochen. Weil aufgrund fragwürdiger Probleme die Nachfrage beim Impfstoff von Astra Zeneca massiv einbrach und man Impfungen deshalb nicht hinbekommen hat, hob das Land NRW kurzfristig in ziemlich chaotischer Form, die immer wieder postulierte Altersstruktur auf.
So wurde nicht mehr alters- und risikogerecht verfahren. Das Prinzip des durchaus sinnvollen Schutzes der Ältesten und Gefährdesten zuerst, wurde ad absurdum geführt. Denn noch immer sind tausende alter Menschen nicht geimpft.

Corona-Sonderregelungen und Impfvordrängler

Nach Angaben der Stadt waren nach Ostern mehr als 46.500 Münsteraner*innen geimpft, das sind rund 15 Prozent der Bevölkerung. Es gibt aber nur ca. 21 000 Ü -80 Jährige, das heißt mehr als doppelt soviel andere Menschen, die nicht Ü 80 sind, wurden bisher geimpft. Eine genauere Information, wie sich die anderen bereits geimpften Gruppen zusammensetzen, wäre interessant und kann man auch von der Stadt erwarten.
Natürlich sollten u. a. gesundheitlich und pflegerisch tätige Menschen bevorzugt geimpft werden. Doch mittlerweile bekomme ich zunehmend mit, dass mit Sonderregelungen und Bescheinigungen von Ärzten ausgestattete Menschen als “Impfdrängler” an der Alterspyramide vorbeikommen. Ganz zu schweigen von anderen Fällen, über die bereits zu lesen war.
Der Autor: Rüdiger Sagel ist ein politisches Urgestein in Münster. Lange Jahre saß er erst für die Grünen, dann für die Linkspartei zunächst im Landtag, zuletzt im Stadtrat. Seine aktive politische Karriere hat er mit Ablauf der Legislaturperiode beendet.
Der Autor: Rüdiger Sagel ist ein politisches Urgestein in Münster. Lange Jahre saß er erst für die Grünen, dann für die Linkspartei zunächst im Landtag, zuletzt im Stadtrat. Seine aktive politische Karriere hat er mit Ablauf der Legislaturperiode beendet.
Nun gibt es ein Impfangebot für rund 22.000 Münsteraner*innen Ü 70, beginnend mit dem Jahrgang 1941. Geht man davon aus, dass die pflegerischen und pädagogisch tätigen Kräfte mittlerweile geimpft sein sollten, sollte es jetzt doch wesentlich schneller mit den Altersgruppen gehen? Doch die Realität sieht immer noch anders aus.
Und immer wieder neue Sonderregelungen, wie für Astra Zeneca, um diesen fragwürdigen Impfstoff schnell loszuwerden, stärken nicht das Vertrauen. Ganz im Gegenteil wird und wurde der Kampf um schnelle Impfung in der Bevölkerung dadurch erst recht entfacht. Das Impfverfahren ist insgesamt widersprüchlich und von der Astra-Zeneca-Sonderregelung haben nur wenige etwas, die sich jetzt freuen, die anderen warten monatelang und viele empört weiter.
Modellstadt war mehr als fragwürdig
So war auch das nun kurzfristig abgesagte Modellstadt Konzept und der geplante Prozess mehr als fragwürdig. Denn war es nicht schon seit Wochen klar ersichtlich, dass so die Infektionszahlen immer noch weiter in die Höhe getrieben werden? Im als Musterbeispiel angeführten Tübingen haben sich laut “Tagesschau” die Zahlen während des Versuchs fast vervierfacht. Die wissenschaftliche Begleitung ist laut SWR mangelhaft. Etliche Aspekte, die sich durch den Modellversuch ergeben, wurden nicht rechtzeitig erkannt, z. B. dass “einfach zuviel Personen von auswärts in die Stadt kommen.” Ostern wurde deshalb die Stadt komplett für Auswärtige gesperrt.
Und auch in Münster hat man, sieht man sich die aktuelle Entwicklung an, zunehmend weniger unter Kontrolle, auch wenn es mehr Impfungen gibt und mehr getestet wird. Zunehmend mehr Stimmen wurden deshalb laut, aus dem Modellversuch auszusteigen. Denn zu widersprüchlich sind die Signale Geschäfte, Schulen und kulturelle Einrichtungen zu öffnen, wenn andererseits im räumlichen Umfeld alles geschlosssen ist und bleibt, und damit Menschen nach Münster gelockt werden. Selbst in den Schulen, die jetzt wieder geöffnet wurden, und auch in den Kitas, sind immer noch nicht überall eigentlich notwendige Luftfilteranlagen installiert, die deutlich die Sicherheit erhöhen würden. Stattdessen nur Notbehelfe mit Stoßlüftungen und man fragt sich, warum wird hier nicht gehandelt und das notwendige Geld dafür ausgegegeben?
Erst kurz vor dem Start hat die Stadtpitze jetzt reagiert, und aufgrund der nun aktuellen Corona Zahlen die Modellstadt abgesagt. Doch dies stärkt nicht gerade die Verlässlichkeit, im Gegenteil. Das chaotische Agieren und oft genug unabgestimmte Vorgehen der verschiedenen politischen Ebenen, die Streitigkeiten und das Gerangel um Kompetenzen und Zuständigkeiten, nerven nicht nur immer mehr Menschen, sondern verunsichern auch zunehmend.
Denn wenn auch Münster bisher auch noch einigermaßen glimpflich durch die Pandemie gekommen ist. Es gibt immer noch keinen Anlass für Entwarnung!

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  1. Grundsätzlich richtig, aber mir zu reißerisch geschrieben. Vor allem die Überschrift geht meiner Meinung nach gar nicht.
    Und so schlecht scheint das mit dem Impfen in MS auch nicht zu laufen. Laut dieser Pressemitteilung[1] vom 13.04.2021 wurden bereits über 70.000 Personen mindestens erst geimpft. Das sind bei einer Bevölkerung in MS von 315.293[2] 22.2%. Das ist besser als im Landes-/Bundesdurchschnitt. [3]

    [1] http://www.presse-service.de/data.aspx/static/1068862.html
    [2] https://de.wikipedia.org/wiki/M%C3%BCnster
    [3] https://www.corona-in-zahlen.de/impfungen/

  2. Update2:
    Laut Pressemitteilung der Stadt MS sind in MS bereits 77.500 geimpft, also 24.58%:
    http://www.presse-service.de/data.aspx/static/1069081.html

    Wir haben in MS 54544 Einwohner zwischen 0-19, die nicht geimpft werden können. [1]
    Dann gibt es noch ~12%, die kein Interesse an einer Impfung haben. [2]

    Wenn die Rate also bei 3500 Impfungen pro Tag bleibt können alle Münsteraner über 19 bis zum 26.05.2021 geimpft werden. Also innerhalb der nächsten 41-42 Tage.

    [1] https://opendata.stadt-muenster.de/dataset/statistik-bev%C3%B6lkerungsentwicklung
    [2] https://www.msn.com/de-de/finanzen/top-stories/corona-impfverweigerern-soll-versicherungsschutz-entzogen-werden/ar-BB1bW16z

  3. Lieber Tobias,

    man kann nicht so rechnen, wie du es im 2. Update getan hast. Grundlage der Prozentangaben ist die Gesamtbevölkerung, nicht nur ein Tei davon. Wenn jeder Bereich nur einen bestimmten Ausschnitt betrachten würde, hätten wir wahrscheinlich noch viel mehr schöne Werte, aber eben nur Ausschnitte ohne Vergleichsmöglichkeit.

  4. @AlBert ich will nichts schön rechnen. ich habe als Grundlage der Prozentangaben die Gesamtbevölkerung genommen. Ich habe nur für den Termin, an dem alle Impfwilligen über 19 geimpft werden können die reduzierte Anzahl genommen.

    Nach den heutigen Stand sind in MS übrigens 33,3% aller Münsteraner geimpft. Der Termin bis alle die es wollen geimpft werden könnten ist leider bei den aktuellen Zahlen nach hinten auf den 14.06.2021 gerückt, da anscheinend im Moment nur 2400 pro Tag geimpft werden. Der Wert der täglichen Impfungen ist allerdings auch der schwächste in der Berechnung, da er nirgendwo angegeben wird und ich ihn mir aus den letzten Zahlen der gesamt geimpften ausgerechnet habe.

    Ich habe die Zahlen nochmal zur besseren Übersicht und zum selber nachrechnen in eine Tabelle gestellt,
    Verbesserungen der Berechnung und aktuellere Zahlen sind immer willkommen:

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