Klartext

Casino-Haushalt Münster: Düstere Chancen für die Zukunft

Im Haushalt der Stadt Münster klafft ein großes Loch. (Symbolbild/Foto: Allie Caulfield/CC BY 2.0)

Im Haushalt der Stadt Münster klafft ein großes Loch. (Symbolbild/Foto: Allie Caulfield/CC BY 2.0)

Rien ne va plus! Den Eindruck, dass in Münster so gut wie nichts mehr geht, bekommt man nicht nur, wenn man die weitgehend menschenleere Innenstadt erlebt. Denn auch die aktuelle wirtschaftliche Bilanz und der städtische Haushalt, der bis März 2021 im Stadtrat diskutiert wird, sehen nicht rosig aus. Steuereinnahmen sind gravierend weggebrochen, Kosten gestiegen und insbesondere Sozialleistungen machen hohe Ausgaben erforderlich, meint unser Kolumnist Rüdiger Sagel.

Was heißt das für die ambitionierte neu politische Mehrheit, die Münster nach vorne bringen will? Wie will die sich abzeichnende Koalition von Grünen, SPD und Volt die Stadt für die Zukunft unter solchen Voraussetzungen gut aufstellen? Und wird sie dem enormen finanziellen Druck standhalten, wenn ihr gleichzeitig eine Opposition aus der CDU und in der Stadtspitze das Leben schwer macht sowie eine bürgerschaftliche Bewegung ungeduldig hohe Erwartungen artikuliert?

Schon jetzt ist klar: Unter schlechteren finanziellen Bedingungen kann man kaum starten. Während die schwarz-grüne Koalition in den letzten Jahren noch mit vollen Händen das Geld ausgegeben hat – und dabei auf Schulden wenig Rücksicht nahm – wird es jetzt richtig eng. Zukünftig wird wohl über Einsparungen und Kürzungen und nicht über zusätzliche Ausgaben zu reden sein. Was heißt das für das Klima, die heimische Wirtschaft und ihre Arbeitsplätze?

Zufall beim Roulette

In nüchternen Zahlen sieht es so aus: Von 258 Mio. Euro, die im städtischen Haushalt 2020 für Investitionen vorgesehen waren, wurden in diesem Jahr gerade einmal 34,5 Mio. Euro für Projekte tatsächlich ausgegeben und damit auch realisiert. Faktisch heißt das: Münster ist was Zukunftsinvestitionen angeht, gerade weitgehend zum Stillstand gekommen. Wenn überhaupt, dann ist das zwar für den mittlerweile auf 792 Mio. Euro angewachsenen Schuldenberg der Domstadt gut. Denn die Investitionsaktivität wird weitgehend durch Schulden finanziert, und dadurch hat sich der Gipfel in Relation zur über Eine-Milliarde-Prognose, die von der Kämmerin noch im Mai verkündet wurde, immerhin um 20 Prozent reduziert.

Doch wie in einem Spielcasino beim Roulette werden die verlierenden Einsätze, Masse genannt, jetzt eingezogen und erst dann wird das, was auf die Gewinnzahl gesetzt wurde, Chancen genannt, ausbezahlt. Was hier so treffend ausgedrückt für ein Spielcasino lukrativ ist, verheißt für Münster nichts Gutes – viel Masse, wenig Chancen!

Wie beim Roulette, wo man auf Zahlen setzt, die durch den zufälligen Lauf einer Kugel bestimmt werden, wissen weder die Spitze der Stadtverwaltung, die eigentlich den Überblick haben sollte, noch die politisch Verantwortlichen derzeit weder, worauf sie setzen sollen, noch in welche Richtung es geht. Dabei wäre es höchste Zeit, statt weiter auf die grüne Null zu setzen, die beim Roulette zwar die größte Gewinnmöglichkeit bietet, aber ihn genau so selten auch liefert, besser auf erkenntnisfundierten Klimaschutz und damit verbundene Investitionen zu setzen.

Kurssuche in düsterer Zeit

Münsters Realität ist düster und verdunkelt sich weiter! Antworten und Kurs sind gefordert. Doch Münsters Oberbürgermeister Lewe sucht Zuflucht im “Faust” und beim großen Goethe und fragt im Stadtrat, was wohl die Stadt “im innersten Kern zusammen hält”. Neben der Verkündung von Durchhalteparolen fragt er sich zudem, wo wohl “die Chancen in der Krise für die Einkaufsstadt” liegen und kommt dabei ausgerechnet auf den “Online-Einkauf und smarte Lösungen” durch “den digital gesteuerten Liefermarkt”.

Wie werden dies wohl Münsters darbende City-Kaufleute finden? Ob Lewe sich wohl bewusst ist, dass der Untertitel von Goethes Faust, den er so beflissen bemüht, “Eine Tragödie” lautet?

Für die eingeschränkte Wirtschaft, die schwer zu kämpfen hat, muss dringend etwas getan werden, keine Frage. Der massive Einbruch der Gewerbesteuer, die 2019 noch für 333 Mio. Euro Einnahmen sorgte, macht im Haushalt mehr als deutlich, wie die Gewinne schrumpften. Denn der Ansatz für 2021 musste auf nur noch 295 Mio. Euro gesenkt werden und soll erst ab 2024 wieder auf 330 Mio. Euro, und damit annähernd alten Wert, steigen.

Der Autor: Rüdiger Sagel ist ein politisches Urgestein in Münster. Lange Jahre saß er erst für die Grünen, dann für die Linkspartei zunächst im Landtag, zuletzt im Stadtrat. Seine aktive politische Karriere hat er mit Ablauf der Legislaturperiode beendet.
Der Autor: Rüdiger Sagel ist ein politisches Urgestein in Münster. Lange Jahre saß er erst für die Grünen, dann für die Linkspartei zunächst im Landtag, zuletzt im Stadtrat. Seine aktive politische Karriere hat er mit Ablauf der Legislaturperiode beendet.

Und ob sich die Wirtschaft überhaupt wieder erholen wird wie zuvor? Nicht überraschend, dass Stadtämmerin Christine Zeller da einerseits auf die “historische Höchststufe” der Gewerbesteuer verweist, die “vieles möglich gemacht hat”, nun aber eindringlich vor einer “Eigenkapitalaufzehrung” warnt. Und wenn sich die Schulden so weiter entwickeln, geht es ab 2023 an die Substanz der Stadt, wenn das Eigenkapital von 855 Mio. Euro in 2019 auf 619 Mio. in 2024 sinkt.

In dunklen Tönen spricht Zeller in ihrer Etatrede daher von einer “sparenden statt wachsenden Stadt” und im Haushaltsentwurf für 2021 davon, dass bei der Gewerbesteuer eine “erhebliche Schwankungsbreite gegeben” sei.

Was bedeutet es zudem, dass es höchst unsicher ist, ob Bund und Land auch weiter finanziell in die Bresche springen (können), und nach der Bundestagswahl noch wollen, denn auch sie leiden massiv? Wie kritisch wirkt sich aus, dass die städtischen Gesellschaften zwar den Gesamtschuldenberg mittragen, aber ansonsten noch gar nicht im Haushalt berücksichtigt sind? Die Halle Münsterland hat 2020 keine Einnahmen, sondern nur Ausgaben produziert. Die Stadtwerke haben gerade einen hochdefizitären Busbetrieb, und auch gar nicht im Haushalt berücksichtigt wurde der klimapolitisch und ökonomisch unsinnige Flughafen, dessen Geschäftsführung schon neue Millionenforderungen erhebt.

Goethes kluge Selbsteinsicht

Kein Wunder, dass die Stadtkämmerin da warnt. Denn insbesondere ab dem nächsten Haushalt, steigen die jetzt rund 12 Mio. Euro Schulden jährlich auf das fünffache und vergrößern drastisch das Haushaltsminus. Dann wird es richtig heftig und die Haushaltssicherung droht. Münster würde nicht mehr im Rathaus, sondern am Domplatz von der Bezirksregierung gesteuert.

Sind da ein Musikcampus, ein Preußenstadion oder andere geplante Großinvestitionen sowie die ambitionierten Klimaziele alle noch finanzierbar? Wie werden die Verteilungskämpfe aussehen und wer wird bedacht? Und wenn dann auch noch die coronabedingten Belastungen, aktuell per Gesetz nach 2025 verschoben, wieder am düsteren Horizont direkt vor der nächsten Kommunalwahl erscheinen? Sie betragen zur Zeit schon 54,7 Mio. Euro und werden sich laut Haushaltsentwurf wohl noch verdoppeln.

Da kann man wie im Casino nur hoffen, dass man auf die richtigen Zahlen gesetzt hat! Ansonsten heißt es: Perdu! Doch noch ist nichts verloren und so bleibt es spannend. Denn wie wird die neue Koalition mit diesen Herausforderungen umgehen? Welche Ideen und Kompetenzen hat sie, den alles entscheidenden Haushalt zu sichern und notwendige Zukunftsinvestionen auf den Weg zu bringen?

Und ob Münsters Oberbürgermeister der alte Goethe beim Finden des richtigen Kurses noch weiter hilft? Der hatte in seinem “Faust” immerhin eine klare Selbsteinsicht: “Da steh´ich nun ich armer Tor. Und bin so klug als wie zuvor!”


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