Münster

Wer Ärger machte, kam ins Störerzimmer: Schwere Vorwürfe gegen Betreuer von Notunterkunft für Geflüchtete

Luftaufnahme der ehemaligen Oxford-Kaserne (Foto: Dietmar Rabich / Wikimedia Commons / “Münster, ehem. Kaserne (Gievenbeck) -- 2014 -- 8383” / CC BY-SA 4.0)

Luftaufnahme der ehemaligen Oxford-Kaserne (Foto: Dietmar Rabich / Wikimedia Commons / “Münster, ehem. Kaserne (Gievenbeck) — 2014 — 8383” / CC BY-SA 4.0)

Schwere Vorwürfe gegen die Betreuer der einstigen Notunterkunft für Geflüchtete in der Oxford-Kaserne: Vier ehemalige Mitarbeitende berichten, dass Bewohner im Jahr 2016 teils über mehrere Tage in ein sogenanntes Störerzimmer gesperrt worden seien. Die Johanniter und die Bezirksregierung weisen die Anschuldigungen zurück.

Der Kern der übereinstimmenden Schilderungen: Geflüchtete seien bei Verstößen gegen die Hausordnung für Zeiträume zwischen einer Nacht und mehreren Tagen in einem separaten Zimmer untergebracht worden. Dieser Raum sei zwar nicht verschlossen worden. Dafür aber stand ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes als Wachposten vor der Tür.

“Einzelne Personen mussten bei Verstößen gegen die Hausordnung über Nacht rein, etwa wenn geraucht wurde”, sagt eine ehemalige Mitarbeiterin der Einrichtung. Sie will wie drei andere ehemalige Mitarbeitende ihren Namen nicht in der Öffentlichkeit nennen. Alle haben im Jahr 2016 in der Notunterkunft des Landes in der Oxford-Kaserne als Sozialarbeiter oder Betreuer gearbeitet. Die vier Personen machten Anonymität zur Bedingung für die unabhängig voneinander geführten Interviews, da sie rechtliche Probleme befürchten.

Störerzimmer unregelmäßig genutzt

“Es gab regelmäßig Ärger wegen der Hausordnung”, berichtet eine der ehemaligen Mitarbeitenden. Als Ultima Ratio seien die Betroffenen in andere Einrichtungen verlegt worden, doch das sogenannte Störerzimmer sei die erste Option gewesen. Die Anlässe für solche Maßnahmen waren vielfältig: “Das waren einzelne Personen, Männer, die stressig waren, aufgefallen sind, die bei der Geldausgabe Forderungen gestellt haben, generell unbequem waren”, berichtet eine andere.

Der Ablauf sei folgend gewesen: Die betroffene Person wurde in das Störerzimmer verlegt, ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes sei vor der Tür postiert worden. Es gab dreimal täglich Essen, aber keine Kommunikation mit anderen Bewohnern. Handys und Zigaretten mussten sie abgeben. Lediglich zum Toilettengang konnten die Insassen das Zimmer in Begleitung des Sicherheitspersonals verlassen. Körperliche Gewalt sei nicht angewendet worden.

Die Belegung des Zimmers erfolgte den Schilderungen der ehemaligen Mitarbeitenden zufolge stets anlassbezogen und unregelmäßig. “Das passierte ab und zu. Teilweise war das für eine Nacht, wenn die Bewohner betrunken aus der Stadt kamen.” Zeitweise habe der Raum wochenlang leer gestanden, sei dann wieder häufiger besetzt gewesen. “Das war im Schnitt ein- bis zweimal im Monat der Fall.”

 


Info: Unterbringung von Geflüchteten in Münster

Die Oxford- und die York-Kaserne wurden beide im Jahr 2015 als Notunterkünfte in Amtshilfe von der Stadt Münster für die Bezirksregierung hergerichtet und betrieben. In den letzten Monaten des Jahres 2015 kam eine so hohe Anzahl von Asylsuchenden nach Deutschland, dass das Land NRW sich nicht mehr in der Lage sah, die Unterbringung und Versorgung ausschließlich durch Landesunterkünfte sicher zu stellen.

Die Betreuung der Notunterkünfte in Münster lag beim Bündnis “Gemeinsam für Münster”. Dieses setzte sich aus den Hilfsorganisationen ASB, DRK, Johanniter und Maltesern zusammen. Die personelle Begleitung in den Notunterkünften installierte die Stadt Münster federführend im Rahmen von Amtshilfe für das Land. Die Verträge zwischen Betreuungsverband (“Bündnis für Münster”) und der Stadt Münster für alle Notunterkünfte waren bis zum 31.10.2016 befristet.

Erst zum 01.11.2016 erfolgte die Umwandlung der beiden Einrichtungen in eine Erstaufnahmeeinrichtung (EAE). Bis dahin wurden die Unterbringungseinrichtungen ausschließlich als Notunterkunft geführt. (Quelle: Stellungnahme Bezirksregierung)


Keine Dienstanweisung

Als Grund für die geschilderte Vorgehensweise führten die ehemaligen Mitarbeitenden “Hilflosigkeit” an. “Die Leitung hat gemerkt, dass sie keine Handhabe hat bei Verstößen gegen die Hausordnung”, erklärte eine von ihnen, die bereits zuvor in der Flüchtlingshilfe gearbeitet hat. Sie habe ein ähnliches Vorgehen bei European Homecare, einem kommerziellen Betreiber solcher und ähnlicher Einrichtungen, erlebt. Eine ehemalige Kollegin erklärt es so: “Das war Bestrafung und Abschreckung. Damit sollten Bewohner im Zaum gehalten werden.” Und: “Es war allen klar, dass da niemand rauskommt.”

Dass ein solches Störerzimmer existiert hat, ist derweil unstrittig. “Die Verlegung innerhalb der Unterkunft als deeskalierendes Instrument war bereits des Öfteren hilfreich, bis sich die Situation wieder beruhigt hatte”, erklärte die Bezirksregierung auf Anfrage. Das Vorgehen ist in einer Dienstanweisung der Behörde aus dem Jahr 2017 geregelt, die uns auf unseren IFG-Antrag hin ausgehändigt wurde. Vorher habe es kein entsprechendes Dokument gegeben. Die Verträge mit den Dienstleistern enthielten demnach ebenfalls keine Regelungen für die geschilderten Fälle.

Sicherheitsunternehmen schweigt

Auch die Johanniter, die die Einrichtung im Auftrag der Stadt Münster betreut haben, bestätigten das Vorhandensein eines entsprechenden Raumes. Dabei habe es sich um ein Zimmer wie jedes andere gehandelt. Einziger Unterschied sei die Lage abseits der anderen Unterkünfte gewesen.

Die dort untergebrachten Personen – beispielsweise zum Zwecke der Deeskalation bei den durchaus vorkommenden Streitigkeiten in der Einrichtung – hätten sich frei bewegen können. Dies erklärten die Bezirksregierung als zuständige Behörde und die Johanniter übereinstimmend. Ansonsten habe man keine Kenntnis von den geschilderten Vorgängen.

Das Sicherheitsunternehmen PMC Security stellte seinerzeit die Wachleute in der Notunterkunft. Die Geschäftsführung verweigerte auf Anfrage einen Kommentar und verwies auf die Bezirksregierung. Deren Vertreter wiederum sei in der Einrichtung regelmäßig anwesend gewesen, erklärte eine der ehemaligen Mitarbeitenden. “Er muss etwas davon mitbekommen haben.”

Dienstanweisung zum Störerzimmer:"Die beiden Notunterkünfte Oxford- und York-Kaserne sind erst zum 01.11.2016 in eine Erstaufnahme Einrichtung (EAE) umgewandelt worden. Verschriftliche Dienstanweisungen gab es bis zu diesem Zeitpunkt nicht, entsprechend ist die ‚Dienstanweisung zum Umgang mit Störern‘ das erste und bislang auch einzige Dokument dazu." (Bezirksregierung Münster)
“Die beiden Notunterkünfte Oxford- und York-Kaserne sind erst zum 01.11.2016 in eine Erstaufnahme Einrichtung (EAE) umgewandelt worden. Verschriftliche Dienstanweisungen gab es bis zu diesem Zeitpunkt nicht, entsprechend ist die ‚Dienstanweisung zum Umgang mit Störern‘ das erste und bislang auch einzige Dokument dazu.” (Bezirksregierung Münster/Schwärzungen durch uns)
"Die beiden Notunterkünfte Oxford- und York-Kaserne sind erst zum 01.11.2016 in eine Erstaufnahme Einrichtung (EAE) umgewandelt worden. Verschriftliche Dienstanweisungen gab es bis zu diesem Zeitpunkt nicht, entsprechend ist die ‚Dienstanweisung zum Umgang mit Störern‘ das erste und bislang auch einzige Dokument dazu." (Bezirksregierung Münster)
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Freiheitsberaubung?

Das Vorhandensein eines solchen Störerzimmers an sich ist legal. Der kritische Punkt hingegen ist, ob sich die dort untergebrachten Menschen frei bewegen konnten oder ob dies nicht der Fall war. “Der Tatbestand der Freiheitsberaubung scheint hier erfüllt zu sein”, erklärt die Rechtsanwältin Sabrina Kimmeskamp. “Ein Entfernen aus dem Störerzimmer wurde durch die umfangreiche Bewachung unmöglich gemacht. Damit dürfte die Fortbewegungsfreiheit entsprechend der Rechtsprechung vollständig aufgehoben worden sein.”

Der Jurist und Kriminologe Christian Walburg schätzt den Fall ähnlich ein: “Wenn jemand zur Bewachung vor der Tür saß und dem Menschen in dem Raum verdeutlicht wurde, dass er nicht raus dürfe und im Zweifelsfall daran gehindert würde, dann handelt es sich um Freiheitsberaubung.” Dafür müsse ein Raum nicht zwangsläufig abgeschlossen sein.

“Den Schilderungen nach handelt es sich um Freiheitsberaubung”, sagt auch Volker Maria Hügel von der Gemeinnützigen Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender (GGUA). Er kritisiert die Nutzung eines solchen Raums generell: “Auch wenn kein körperlicher Zwang angewendet wurde, so handelt es sich um psychische Gewalt, wenn traumatisierte Menschen gegen ihren Willen in einem solchen Zimmer untergebracht werden.”

Mitarbeiter meldeten Bedenken an

In einem sich über mehrere Monate hinziehenden Schriftwechsel haben die Johanniter ausführlich Gelegenheit erhalten, zu den Vorwürfen Stellung zu beziehen. Auf unser Angebot eines persönlichen Gesprächs mit den seinerzeit vor Ort verantwortlichen Personen, die das Vorgehen nach Angaben der Quellen autorisiert haben sollen, ging die Organisation nicht ein.

Ein ganz konkreter Fall: Anfang 2016 lebte ein Geflüchteter aus Syrien zusammen mit seiner hochschwangeren Frau in der Unterkunft. Nachdem er, so berichten zwei der Quellen übereinstimmend und unabhängig voneinander, auf dem Zimmer geraucht habe, sei er in das Störerzimmer verlegt worden. Die Frau habe daraufhin “fast einen Nervenzusammenbruch” erlitten, denn sie wollte in der fremden Umgebung nicht von ihrem Mann getrennt werden.

Die Johanniter-Pressestelle stellt den Sachverhalt anders dar: Die Frau habe vor dem gewalttätigen Mann geschützt werden müssen, weswegen sie in das Zimmer umgezogen sei. Nur: Warum war die Polizei dann nicht vor Ort? “Die war nicht häufig da. Das war nicht gewünscht wegen negativer Publicity”, sagt eine Informantin.

Burbach-Prozess rüttelte auf

Die Johanniter erklären hingegen, dass sie sich bei solchen Vorgängen eine Anzeige durch die Mitarbeitenden erwartet hätten. Sie und andere Mitarbeitende hätten sich sehr wohl bei der Leitung der Einrichtung und beim Vertreter der Bezirksregierung beschwert, so eine der Quellen. Geändert habe sich dadurch nichts.

Einige wiederum hätten aus Angst um den Job geschwiegen. Andere nahmen das Vorgehen mit dem Störerzimmer anfänglich nicht als möglicherweise illegal wahr. “Die meisten anderen Mitarbeitenden haben das nicht in Frage gestellt. Für viele war es der erste Job. Sie wussten nicht, was zulässig ist und was nicht.”

Erst die Ereignisse im siegerländischen Burbach, führt eine der Personen an, hätten sie nach der langen Zeit wieder aufgerüttelt. Sie waren der Anlass, sich bei uns zu melden und über die Geschehnisse im Jahr 2016 zu berichten. In Burbach sollen Wachleute und Betreuer jene Bewohner, die gegen Hausregeln verstießen, systematisch eingesperrt, immer wieder gedemütigt und gequält haben. Die juristische Aufarbeitung dauert bereits seit einem Jahr an. In diesem Fall liegt Beweismaterial wie Fotos vor.

Das ist bei den Vorwürfen gegen Johanniter und Bezirksregierung nicht der Fall. So steht am Ende Aussage gegen Aussage. Mutmaßlich Betroffene konnten für eine Befragung nicht ausfindig gemacht werden. Hügel fordert derweil die Aufklärung der Geschehnisse: “Eine unabhängige Untersuchung der Vorfälle ist zwingend notwendig.”


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  1. das ist aber ganz dünn: anonym und ohne konkrete namen oder daten oder fotos beschuldigen angeblich ehemalige mitarbeiter ausgerechnet jene menschen, die sich damals um die geflüchteten gekümmert haben…schwach.

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