Münster

Theater in Münster: Der Lockdown ist vorbei, aber die Probleme bleiben

Sorgen sich um ihr Theater: Konrad Haller und Toto Hölters im Foyer des Kleinen Bühnenbodens

Sorgen sich um ihr Theater: Konrad Haller und Toto Hölters im Foyer des Kleinen Bühnenbodens.

Der privaten Theaterszene in Münster droht der Kahlschlag, denn die Corona-Pandemie stellt für die Kulturschaffenden nach wie vor eine existentielle Bedrohung dar.

Konrad Haller und Toto Hölters haben es schwer. Die beiden Intendanten des Kleinen Bühnenbodens mussten im Zuge des Corona-Lockdowns fast 40 Vorstellungen absagen. Alle waren bereits zu 70 Prozent ausverkauft – ein schwerer Schlag ins Kontor. Die Einnahmeverluste für den Kleinen Bühnenboden belaufen sich dadurch auf etwa 35.000 Euro. Im Boulevardtheater sind es etwa 80.000 Euro und Meinhard Zanger, Intendant des Wolfgang-Borchert-Theaters, beziffert die Einnahmeausfälle auf rund 250.000 Euro.

“Man fällt ins Bodenlose”, klagt Hölters. Der Kleine Bühnenboden erwirtschaftet immerhin 80 Prozent des Etats durch Eintrittsgelder. In der Regel sind die privaten Spielhäuser der Stadt darauf angewiesen, mehr als 55 Prozent des Budgets selbst zu akquirieren. Die staatliche Unterstützung von Kulturschaffenden fällt hier gering aus. Anders sieht dies bei den öffentlich getragenen Theatern aus, die lediglich zwischen 18 und 19 Prozent ihres Etats selbst einspielen müssen und (noch) auf die finanzielle Unterstützung der Stadt hoffen dürfen.

Saison fällt für das Theater Titanick aus

Das Theater Titanick steht vor einer besonderen Zerreissprobe. Während der Tourneesaison von April bis September verdient das Ensemble normalerweise 80 Prozent des Budgets, doch die spektakulären Projekte und Stadtinszenierungen des Open-Air-Theaters müssen in diesem Jahr gänzlich ausfallen. Trotz großzügiger Spenden und einer Unterstützung durch Stadt und Land von rund 20 Prozent fehlen dem Theater in diesem Jahr dadurch 76.000 Euro. Mitarbeiter*innen für Marketing, Akquise und Produktion mussten in Kurzzeit geschickt werden, die freiberuflichen Künstler*innen standen vor einem kompletten Verdienstausfall.

Carolin Wirth ist freiberufliche Schauspielerin und trat bis Anfang März mit ihrem Ensemble “FreiFrau” in Kneipen auf. Dann kam der Lockdown und “man sammelte Absagen für alle Veranstaltungen, die bis Mai geplant waren”, berichtet Wirth. “Ohne meine Halbtagsstelle als Teamassistenz in einem Büro hätte ich nichts gehabt.” Die Soforthilfe, die ihre Kolleg*innen in Anspruch nehmen mussten, belief sich auf 2000 Euro. Für drei Monate. Wie diese damit klargekommen sind, ist für Wirth nicht nachvollziehbar.

“Augen auf bei der Berufswahl”, habe sie immer wieder im Internet gelesen, wenn es um die Situation von Künstler*innen ging. “Aber es sind doch die Leute, die keine Angst vor Existenznöten haben, die uns Kultur ermöglichen”, setzt sie dem entgegen. Sorgen mache ihr nur eine zweite Welle und ein erneuter Lockdown. Gerade deshalb hält sie eine Innovation von Kultur im Netz für wichtig. “Die Leute haben sich daran gewöhnt, dass das, was im Netz verfügbar ist, frei zugänglich ist.” Es gehe immer um Hilfen für Künstler*innen, aber stattdessen müsse es um die wirtschaftliche Realisierung von Produktionen fürs Netz gehen, betont Wirth. “Wir müssen über die Bezahlung und Förderung von Kultur sprechen, auch wenn sie online bereitgestellt wird.”

Solidarität in schwierigen Zeiten

WBT-Intendant Zanger verfasste zu Beginn des Lockdowns einen Brand-Brief an Monika Grütters, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien in der Hoffnung auf Rettungsschirme aus Bund und Land. Die Soforthilfe, die den Theaterbetrieben Ende März zugute kam, belief sich auf bis zu 25.000 Euro. Eine lebensrettende Sofortmaßnahme, aber bei einem kompletten Verdienstausfall nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Auf seiner Homepage bittet das Wolfang-Borchert-Theater daher um Unterstützung durch Spenden in dieser “dramatischen und existentiell bedrohenden Situation.”

Während dem Wolfgang-Borchert-Theater der Mäzen Hendrik Snoek unterstützend zur Seite steht, durften die privaten Theaterbetriebe auf Solidarität bauen. Gemeinsam mit weiteren Kooperationspartnern haben das WBT, der WDR und die Stadt Münster am 9. Mai ein Benefizkonzert im Autokino Münster organisiert. Der Erlös der Einnahmen beläuft sich bis jetzt auf 33.500 Euro und kommt der freien und privaten Theaterszene in Münster zugute.

Clair Howells, Gründerin, Schauspielerin und Gesellschafterin des Theater Titanick, erfuhr durch einen Anruf vom WBT, dass ihre Kompanie für das Benefizkonzert ausgewählt wurde. “Alle waren mit sich selbst beschäftigt und dann diese Überraschung”, berichtet sie. Auf ihrer Homepage schaltete sie zuvor einen SOS-Spendenaufruf, wodurch 30.000 Euro zusammengekommen seien. Die meisten der ca. 300 Spender*innen seien Münsteraner*innen. Howells ist sichtlich gerührt: “Nach 30 Jahren Arbeit, eine solche Unterstützung von den Menschen zu erfahren, das war für uns ein großes Zeichen.”

Darüber hinaus trägt der Culture Club Münster, eine einstündige Online-Entertainment-Sendung, ins Leben gerufen vom Placebo Theater, der Filmwerkstatt Münster und AE Rental, durch den Verkauf von Support-Tickets zur Unterstützung Münsters Kulturschaffender bei.

Rückkehr zum Normalbetrieb nicht möglich

Seit dem 30. Mai dürfen in NRW Theater und Opern wieder eröffnen, allerdings unter strengen Auflagen. Der Kleine Bühnenboden beispielsweise musste, den geltenden Hygienevorgaben entsprechend, seine Sitzplätze zunächst von 50 auf 16 reduzieren. Um einen Spielbetrieb überhaupt finanziell zu ermöglichen, musste dafür der Eintritt vorübergehend um zehn auf 25 Euro erhöht werden. Die Schauspieler*innen entlohnt das kleine Kammertheater mit einer Festgage von 400 Euro. Das wären 100 Prozent der Einnahmen gewesen. Doch nur drei Tage vor der ersten Aufführung trat eine neue Verordnung des Landes NRW in Kraft, die eine weitere Reduktion der Sitzplätze auf 12 zur Folge hatte. “Jetzt zahlen wir bei jeder Vorstellung 100 Euro drauf”, erklärt Haller.

Auch das Boulevardtheater musste den Betrieb herunterfahren. Je zwei verkaufter Plätze dürfen zehn nicht besetzt werden. “Wir machen Komödien”, stellt die Geschäftsführerin Angelika Ober klar. “wir sollen die Leute zum Lachen bringen und haben selbst die dicksten Probleme an der Backe.” In dem neuen Stück “Der letzte feurige Liebhaber” wird die Abstandsregel in Szene gesetzt. Die Schauspieler*innen tauschen Handküsse aus statt leidenschaftlicher Umarmungen.

Das Wolfgang-Borchert-Theater musste von 146 Plätzen auf 32 reduzieren. Wirtschaftlich sei das nicht, aber Intendant Zanger zeigt sich optimistisch: “Ab Montag tritt eine neue Coronaschutzverordnung in Kraft, die weitere Lockerungen mit sich bringen wird.” Ab Oktober sei alles wieder normal, vermutet er und fügt hinzu: “Wenn es keine zweite Welle gibt.”

Die Lage ist ernst

Oberbürgermeister Markus Lewe bemerkte kürzlich beim Benefizkonzert treffend, dass Kultur gerade in diesen Zeiten systemrelevant sei. Doch Ulrich Peters, Intendant der Städtischen Bühnen, sieht die Zukunft der Kultur in Gefahr und prognostiziert: “Wir laufen in ein sehr großes Defizit hinein.” Mit den Gewinnen der Unternehmen brächen auch die städtischen Einnahmen durch die Gewerbesteuern ein. Und wenn die Stadt kein Geld habe, leide die Förderung der Kultur darunter. “Es könnte zu massiven Einschnitten kommen und damit zu einer Abnahme der kulturellen Vielfalt, wie wir sie kennen”, warnt Peters.

Während die städtischen Theater die Auswirkungen der Krise vielleicht später, aber dafür umso verheerender zu spüren bekommen, waren die privaten Theaterbetriebe unmittelbar betroffen und kämpfen seither um ihr Bestehen. Zahlreiche Existenzen sind davon betroffen. Die solidarischen Maßnahmen haben dazu geführt, dass Arbeitsplätze erhalten und Finanzierungslücken überbrückt werden konnten.

Sie tragen maßgeblich dazu bei, dass in Münster auch nach der Krise ein kulturelles Leben stattfinden kann. “Wir haben das Handtuch noch nicht geworfen”, resümiert Howells vom Theater Titanick. Doch die Durststrecke dauert an und wann eine Rückkehr zum normalen Theaterbetrieb möglich sein wird, ist bisher noch nicht abzusehen.


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  1. Vielen Dank für diesen Artikel, der die Aufmerksamkeit auf das große Problem lenkt, in der sich die kulturelle Szene, und vor allem die Gemeinschaft der freien Künstler*innen, zur Zeit befindet. Ich möchte hierzu ergänzen, dass Kinder seit März kaum bis keinen Zugang zu Live-Kultur haben. Digitale Performance macht besonders für die junge Zielgruppe keinen Sinn. Ausflüge von Schulklassen ins Theater sind bis zu den Sommerferien verboten. So kommen, selbst wenn Aufführungen wieder möglich sind, nur die Kinder ins Theater, die sowieso durch ihre Eltern kulturell begünstigt werden. Die Kindertheater sind zudem in vollem Maße abhängig von Subventionen, da hier die Eintrittsgelder nicht über die Maße angehoben werden können. Die Künstler*innen (für Erwachsenen-Theater) sind zur Zeit anscheinend extrem vom goodwill der Bevölkerung abhängig, die aus eigener Tasche für ein erhaltenswertes Kulturgut zahlen. Das ist bemerkenswert und zeigt den hohen Stellenwert der Kultur bei den Münsteraner*innen. Damit das so bleibt: Lasst uns also die Zielgruppe nicht fundamental vernachlässigen, die später unsere Kultur unterstützen, weiterentwickeln und prägen soll.

    1. Danke für dein Feedback und die wichtige Ergänzung. Ich arbeite selbst an einer Schule und der momentan erschwerte Zugang zu Kultur gerade für finanziell schwache Familien so wie die Bereitstellung künftiger Fördermittel für Kultur geben wirklich Anlass zur Sorge.
      Theater hilft uns dabei, die Welt aus anderen Perspektiven zu betrachten, die Positionen von anderen zu übernehmen und uns selbst besser zu verstehen.
      Außerdem werden wir Querdenker und kreative Lösungsansätze für die Probleme der Zukunft brauchen.
      Wenn wir die kulturelle Bildung an unseren Schulen vernachlässigen, werden wir sehr bald merken, wie systemrelevant sie wirklich ist.

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