Münster

Teure Immobilien: Exodus der Münsteraner

Immobilien Baustelle Symbolbild (Foto: Tobias Nordhausen/CC BY 2.0/Bildausschnitt angepasst)

Immobilien Symbolbild (Foto: Tobias Nordhausen/CC BY 2.0/Bildausschnitt angepasst)

Die Preise für Immobilien in Münster steigen und steigen und steigen. Der Traum vom Eigenheim rückt für Durchschnittsverdiener in weite Ferne. Möchtegern-Häuslebauern bleibt nur eine Möglichkeit: Im Lotto gewinnen oder vor die Tore der Stadt ziehen. Und genau das machen immer mehr Münsteraner.

Mit dem ersten Kind hatte sich das Thema Großstadt für Tina und Rüdiger Theissing erledigt. Die Kleinfamilie aus dem Kreuzviertel musste sich wohnlich verändern, denn die 60 Quadratmeter große Wohnung reichte nicht mehr aus für Eltern plus Neu-Sohnemann Leo. Doch Mieten und die Preise für Immobilien in Münster machten einen Strich durch die Rechnung der PR-Beraterin und des Industrie-Mechatronikers. Nach einer ersten Recherche war dem Paar klar: “Münster ist zu teuer. Aber wir wollten in erreichbarer Nähe bleiben.”

Heute wohnt die in der Zwischenzeit um Töchterchen Greta gewachsene Familien zur Miete in einem Haus. Vor den Toren der Stadt – in Altenberge. Dort, wo Mieten und Eigenheime noch bezahlbar sind. Hier trafen die Theissings auf viele Exil-Münsteraner in einer ähnlichen Situation: “Altenberge ist gefragt, weil immer mehr Münsteraner raus müssen aus der Stadt.” Neben der günstigeren Grundstückspreise und Mieten sei die gute Anbindung mit Bahn und Bundesstraße ein Standortvorteil. “Hier kommt man zudem besser an Kita-Plätze”, zählt Tina Theissing auf. Das sei in Münster “sehr schwierig”.


Was beim Thema Immobilien in Münster los ist, zeigte sich kürzlich in dem Neubaugebiet zwischen Markweg und Hoppengarten. Hier vermarktete die Stadt 38 Bauplätze selbst und erhielt bereits im Vorfeld 2.000 Bewerbungen. Für einen Quadratmeter der erschlossenen Grundstücke rief die Kommune zwischen 550 und 700 Euro je Quadratmeter auf. Wer sich ein kleines Stück mit 200 Quadratmetern sichern kann, steigt mit 110.000 Euro ein. Rechnet man nach der Faustregel, dass die Grunderwerbskosten ein Drittel der Gesamtkosten ausmachen, ist der gemeine Häuslebauer mit 330.ooo Euro dabei – eine Summe, für die sich Durchschnittsverdiener gewaltig strecken müssen.

Für Münsteraner Verhältnisse aber ist das immer noch ein Schnäppchen. Die Stiftung Warentest setzt in ihrem aktuellen Immobilienreport für einen Quadratmeter Eigenheim zwischen 3.195 Euro (sehr gute Lage/Ausstattung) und 2.280 Euro (einfache Lage/Ausstattung) an. Prognose für die Preisentwicklung in 2018: acht Prozent. Nach oben, versteht sich. Und ein Ende ist vorerst nicht in Sicht.

Telgte, Greven und Altenberge besonders beliebt

Angesichts dieser Zahlen verwundert es nicht, dass junge Paare wie Tina und Rüdiger Theissing die Stadt verlassen und ins Umland ziehen. Damit sind sie nicht allein. Die Bertelsmann-Stiftung hat in ihrer kürzlich veröffentlichten Studie “Trend Reurbanisierung?” genau solche Wanderungsbewegungen untersucht. In einem Großteil der 65 größten deutschen Großstädte sind ähnliche Entwicklungen zu verzeichnen, die sich seit Beginn der Dekade beschleunigt haben.

“‘Überschwappeffekte’ kommen als ‘Abrutschen’ wohnungssuchender Haushalte (…) besonders intensiv im ersten Ring der direkt an die Großstädte angrenzenden Städte und Gemeinden zum Tragen”, schreiben die Forscher. Das betrifft dabei nicht nur die klassischen Metropolen und Ballungsräume, sondern auch solitäre Universitätsstädte – wie eben Münster.


Dass sich viele Münsteraner eine Heimstatt vor den Toren der Stadt suchen, ist an sich nicht neu. Neu ist aber der Umfang, in dem sie das tun. Seit Beginn der Dekade zeichnet sich ein verstärkter Abwanderungstrend in das Umland ab (siehe Grafik oben). Nicht nur Münster wächst, sondern das Umland gleich mit. Telgte, Altenberge und Greven stehen dabei besonders in der Gunst der Auswanderer.

Die saldierten Zahlen (siehe Grafik) relativieren das Bild etwas, geben aber keinen Aufschluss über die Art der Migration. Die Abiturientin, die zum Studieren in die nahe Großstadt zieht, wird dort als Nachfragerin auf dem Wohnungsmarkt auftreten. Das Jugendzimmer im elterlichen Eigenheim wird aber nicht als Wohnraum angeboten.

Immobilien boomen in Greven

“Die konstant positive Bevölkerungsentwicklung in Greven beruht fast ausschließlich auf den hohen positiven Wanderungssalden der letzten Jahre”, erklärt Klaus Hoffstadt aus der Verwaltung der Mittelstadt. Diese verzeichnet seit 2012 einen “rasant steigenden Wanderungsüberschuss” von durchschnittlich 500 Personen pro Jahr. Mitte 2017 zählte Greven 37.249 Einwohner, sechs Jahre zuvor waren es noch 34.688 (Angaben von IT NRW, die auf der Fortschreibung des Zensus von 2011 beruhen).

“Die verstärkte Zuwanderung lässt sich in Teilen mit der Entwicklung der ersten Bauabschnitte des vergleichsweise großen Neubaugebietes ‘Wöste’ mit rund 500 Grundstücken erklären”, führt Hoffstadt weiter aus. In den Jahren 2014 und vor allem 2015 habe neben der Binnenmigration der Zuzug von Geflüchteten zu einem Anstieg der Bevölkerung geführt.

Dass gerade Greven in der Statistik heraussticht, führt Hoffstadt auf die “hervorragende und komplette eigene Infrastruktur in allen Bereichen” zurück. Hier zählt er Kitas, Schulen, Ärzte, Nahversorgung, Freizeitangebote und Einkaufsmöglichkeiten in der Innenstadt auf. Der Exil-Münsteraner muss nicht verzichten – und wenn doch, dann geht es mit dem ÖPNV oder über die Autobahn schnell in die alte Heimat. Mit diesen Standortvorteilen aber gehen Herausforderungen einher, mit denen auch Münster zu kämpfen hat. Die Infrastruktur muss mit der Einwohnerzahl wachsen – und das ist ein komplexer Prozess.


Auch die Bereitstellung von Bauland nimmt Zeit in Anspruch. Die Nachfrage ist höher als das Angebot, die Preise steigen – und das eben nicht nur in Münster, wo die Bereitstellung von Bauland der Nachfrage hinterherhinkt. Längst ist der Preisdruck auch im Umland zu spüren. Altenberge (plus 44 Prozent), Greven (plus 34 Prozent) und Drensteinfurt (plus 37 Prozent) stechen hier hervor, wie unsere Berechnungen ergeben haben, die auf Daten von LBS Research basieren (siehe Grafiken oben).

“Gerade für Familien, die etwas mehr Platz suchen, ist es schwierig, ein passendes Objekt zu finden und es sich dann auch leisten zu können”, erklärt Joachim Klein von der LBS. Deswegen führe der Weg in die “Speckgürtel” rund um die Ballungsräume, beispielsweise im Umfeld von Städten wie München und Berlin. Hier zahlen die Käufer im Schnitt etwa halb so viel wie in der Großstadt, heißt es bei der Bausparkasse. Noch günstiger würden die Preise, wenn man sich weiter von den Ballungsräumen entfernt.

Angesichts dieser Gemengelage drängt sich geradezu die Frage auf: Müssen es denn immer eigene Immobilien sein? Die Theissings jedenfalls sind mit ihrer Situation im “Boomtown” Altenberge vor den Toren Münsters zufrieden. “Wir haben mit dem Gedanken ans Bauen gespielt”, sagt Tina. “Das ist aber eigentlich nicht so wichtig. Wir sind glückliche Mieter.”


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  1. Die neue Suburbanisierung ist -anders als die Welle in den 80ern- leider kein richtiger “freiwilliger Trend”, zumindest ist das Land bzw. die Kleinstadt nicht das Traumziel junger Familien. Früher galt wirklich noch das Ideal im Eigenheim mit viel grün drum herum zu leben. Heute wollen die meisten Familien in den attraktiven Städten bleiben. Einzig die Preise zwingen sie dazu, die Stadt verlassen zu müssen. Somit hat dieser Suburbanisierungstrend einen sehr schalen Beigeschmack, weil der Einzug in die Kleinstadt oft nicht das ist, was sich viele Familien gewünscht hätten . Es ist schon traurig, dass so viele Familien Münster den Rücken kehren müssen. Ich kenne sehr sehr viele kleine Familien, die eigentlich sehr gerne hier wohnen bleiben möchten, aber spätestens mit dem zweiten Kind wird die 3-Zimmer-Wohnung einfach zu klein. Und ja, es gab sie mal, die 4-Zimmer Wohnungen. Leider werden die immer häufiger in offene Wohnlofts für alleinstehende Gutverdiener umgebaut oder eben in Einzelappartments für Studenten, da es einfach zu wenige Wohnheime gibt. Für WGs werden die größeren Wohnungen ebenfalls genutzt, außerdem von Rentern, deren Kinder schon lang aus dem Haus sind, aber nicht umziehen, weil sie noch zu den alten Mietkonditionen leben. Gerade für Studenten müssen wieder mehr Wohnheime gebaut werden und die derzeitige Neubautätigkeit in den zentralen Stadtteilen konzentriert sich leider fast ausschließlich auf “Kleinwohnungen” und nicht auf Familienwohnungen mit 4 und mehr Zimmern. Schade, denn so werden bestehende Sozialstrukturen und Freundschaften von Kindern immer wieder zerstört, weil es kaum noch Raum für Familien rund um die Innenstadt gibt.

  2. „Suchen Sie sich eine neue Wohnung, hier können Sie nicht bleiben!“
    Leider gibt es derzeit einen Prozess, den man als Gentrifizierung 2.0 bezeichnen könnte und der konkret eine systematische Verdrängung von Menschen und vor allem von Familien aus der Innenstadt bedeutet. Es gibt einige wenige und klar benennbare Immobilien- und Maklerfirmen, die bevorzugt in guten Lagen Häuser suchen, die sie (Luxus-) sanieren können.
    Dies läuft in der Regel folgendermaßen ab:
    Zunächst wird ein Haus gekauft, in dem sich attraktive (Altbau-) Mietwohnungen befinden. Dann wird den Mieter*innen mitgeteilt, dass das Haus ja ziemlich heruntergekommen sei und vom neuen Eigentümer renoviert bzw. saniert werden solle. Daher werden alle Mieter*innen aufgefordert, sich zeitnah eine neue Wohnung zu suchen. Wenn dem Begehren des Investors nun nicht gefolgt wird, kommt es in Verhandlungen in der Regel schnell zu Drohungen à la „Wer lebt denn schon gerne allein auf einer Baustelle? Das hält niemand lange aus!“ oder „Wir haben bisher noch jeden Mieter aus seiner Wohnung herausbekommen. Da helfen auch keine Anwälte.“
    Es wird also den Mieter*innen keine Kündigung ausgesprochen, da hierfür die Rechtsgrundlage fehlt, sondern es wird massiv mit psychischem Druck gearbeitet. Zur Not wird auch schon mal eine Abfindung gezahlt – wie gesagt, nachdem gedroht wurde. Dass ein anschließender Auszug nicht „freiwillig“ genannt werden kann, sondern unter Zwang geschieht, liegt auf der Hand.
    Egal, ob nach solch einer „Einigung“ oder nach einem „Zermürben“ z.B. durch permanenten Baulärm, also gewissermaßen durch „Rausekeln“, die Wohnung wird frei und kann nun vom Investor renoviert und schließlich verkauft werden. Hierbei werden nicht selten die von Familien so dringend benötigten 4- oder Mehrzimmerwohnungen in Zwei- bis Dreizimmerwohnungen mit „gehobenem Wohnstandard“ umgewandelt. Solche Wohnungen werden dann mit einer hohen Rendite verkauft und entweder weitervermietet – oder die Käufer*innen ziehen selbst dort ein. Die Mieten steigen bei dieser Verfahrensweise nicht selten auf das Doppelte.
    Was geschieht nun mit Stadtteilen wie Mauritz, dem Erpho- oder dem Kreuzviertel, in denen dieser Prozess gerade verstärkt abläuft? Wie verändert sich die Bewohner*innenstruktur dort? Menschen mit niedrigem Einkommen und Familien wird man dort jedenfalls bald nicht mehr zu Gesicht bekommen. Ist dieser Prozess in unserer lebenswerten Stadt so gewünscht?
    Und wie wehrt man sich, wenn demnächst der Büttel einer solchen Immobiliengesellschaft vor einer*einem steht und sagt: „Hier können Sie nicht bleiben…“?
    Übrigens: es kann hier in Münster wirklich jede*n treffen! Denn die Nachfrage nach Wohnungen mit gehobener Ausstattung für wohlhabende oder gut verdienende Mittelstandspaare, Student*innen reicher Eltern oder anderer Menschen, die sich die hohe Miete leisten können, reißt nicht ab. Und der Hunger nach hohen Renditen von Immobiliengesellschaften, den diese unterstützenden Banken und entsprechender Fonds ebenfalls nicht.
    Was tut die Münsteraner Politik gegen diese Fehlentwicklung?

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