Münster

Foodora will Betriebsrat in Münster verhindern

Foodora-Fahrer in Münster auf dem Prinzipalmarkt.

Die Fahrer des Essenslieferdienstes Foodora wollen in Münster einen Betriebsrat gründen. Doch das Unternehmen wehrt sich mit Händen und Füßen. Jetzt muss das Arbeitsgericht entscheiden.

Pinke Jacken, pinke Helme, pinke Rucksäcke: Die Fahrer des Online-Lieferdienstes fallen auf, wenn sie mit ihren Fahrrädern durch die Straßen der Stadt flitzen. Momentan aber beschäftigt sie nicht nur die Frage, wie sie das Essen am schnellsten von A nach B bringen. Es geht um Themen, die mit dem Tagesgeschäft auf den ersten Blick wenig zu tun haben: Arbeitnehmermitbestimmung und die Frage, wo eigentlich ein Betriebsrat gegründet werden kann.

Carlotta Rölleke, Lukas Neumann und Joscha Möller arbeiten seit Anfang 2017 für Foodora, nachdem das Unternehmen erst kurz zuvor in Münster gestartet war. Und sie machen ihren Job gerne, betonen sie im Gespräch. Nur: Wo Licht ist, da ist auch Schatten. Das Trio und einige andere Fahrer wollen sich mit Verbesserungsvorschlägen einbringen, die Probleme des Arbeitsalltags besprechen und Lösungen finden, von denen hinterher alle profitieren könnten.

Dabei geht es um grundlegende Fragen: Die intransparente Schichtplanung, das Verhalten bei Unfällen, der Ersatz von Verschleißteilen an den Fahrrädern – die den Fahrern gehören – oder die Säuberung der Transportrucksäcke, die nicht als Arbeitszeit angerechnet wird.

Foodora schaltet auf stur

“Ich habe aber das Gefühl, dass mir nicht zugehört wird”, sagt Josch. Die Kommunikation mit den Mitarbeitern läuft fast ausschließlich per Mail, häufig kämen Standardantworten zurück. “Bei einem Problem wie einem Arbeitsunfall ist das nicht gut”, ergänzt Carlotta. “Da haben wir uns gedacht, dass wir unserer Stimme mehr Gewicht verleihen müssen.”

Das Trio wollte deswegen im Frühjahr einen Betriebsrat gründen und holte sich dafür Unterstützung bei der Gewerkschaft Nahrung Genussmittel Gaststätten (NGG). Und hier fingen die Probleme an: Der erste Schritt zur Gründung eines Betriebsrates ist die Einberufung einer Betriebsversammlung, in deren Rahmen der Wahlvorstand gewählt wird. Der wiederum führt die anschließenden Wahlen durch. Hierfür müssen sämtliche Arbeitnehmer rechtzeitig informiert werden.


Hintergrund: Das Hype-Startup Foodora und seine Connection zu Zalando

Foodora ist seit der Gründung vor dreieinhalb Jahren mächtig auf Expansionskurs. Inzwischen ist das Unternehmen in zehn Ländern von Australien bis Finnland vertreten – Tendenz weiterhin steigend. Die Idee dahinter: Wer als Gastronom keine eigene Lieferflotte unterhalten möchte, kann die Dienste von Foodora in Anspruch nehmen. Das Unternehmen vermittelt die Bestellungen und übernimmt die Logistik. Dafür verlangt es eine Kommission von 30 Prozent des Bestellwertes. Der Kunde zahlt im Regelfall nochmals eine Liefergebühr je Bestellung. Alles läuft online, Bares ist allenfalls beim Trinkgeld für die Fahrer im Spiel.

Wenn eine Bestellung aufgegeben wird, erhalten das Restaurant und der Fahrer per Foodora-App die entsprechenden Informationen. Ein Algorithmus zieht im Hintergrund die Fäden als virtueller Disponent. Das Versprechen ist die Lieferung innerhalb einer halben Stunde. Foodora konzentriert die Liefergebiete auf die Innenstadt in einem Radius von zwei Kilometern rund um das jeweilige Restaurant.

Foodora wurde 2015 gegründet und selbst gehört zu dem börsennotierten Konzern Delivery Hero. Hieran sind auch die Brüder Marc, Oliver und Alexander Samwer beteiligt, die mit ihren Investments in Unternehmen wie Zalando Aufsehen erregten. Einziger Konkurrent von Foodora ist die britische Deliveroo, der momentan auch auf dem deutschen Markt angreift – in Münster aber noch nicht vertreten ist.


Die NGG forderte Foodora auf, den rund 70 Fahrern am Standort Münster die Einladung zur Betriebsversammlung zuzustellen. Das Unternehmen allerdings weigerte sich. Begründung: Der Standort Münster sei keine eigenständige Betriebsstätte. Ein Betriebsrat sei ergo nicht vorgeschrieben. “Zu Zeiten Adenauers war nicht absehbar, dass es einmal solche virtuelle Organisationen geben würde, die über Apps gesteuert werden”, sagt NGG-Gewerkschaftssekretär Piet Meyer mit Verweis auf das Betriebsverfassungsgesetz, in dem die Arbeitnehmermitbestimmung geregelt ist.

Keine Betriebsstätte, kein Betriebsrat, so die Logik des umjubelten Startups, das als Mittler zwischen Restaurants ohne eigenen Lieferdienst und den Kunden fungiert. Passend dazu wurde im Januar dem Foodora-Residenten in Münster gekündigt. “Das war eine Reaktion auf die geplante Betriebsratswahl”, sagt Meyer.

In Köln hingegen gibt es einen Betriebsrat, der nach Aussage des NGG-Manns erfolgreich verhandelt hat. So konnte die Einführung eines neuen Schichtsystems, das die Fahrer nach deren Aussage benachteiligt, verhindert werden. Dort hatte es zudem eine Demonstration der Fahrer für bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen gegeben.

Wiedersehen vor Gericht

Angesichts der Verweigerungshaltung von Foodora zog die Gewerkschaft im Frühjahr vor Gericht. Foodora erklärte in der Güteverhandlung, die Mitarbeiter in Münster hätten sich an den Betriebsratswahlen in Köln beteiligen sollen. Dass das nicht kommuniziert worden sei, sei ein Fehler.

Stattdessen setzt das Unternehmen auf Konfrontationskurs. “Das ist eine Hinhaltetaktik”, sagt Meyer. Da es immer nur befristete Verträge gibt, könnte sich das Problem mit den rebellischen Fahrern in Münster bis zum nächsten Gerichtstermin Anfang Dezember fast von selbst erledigen. “Die Leute sollen so klein gehalten werden. Wertschätzung sieht anders aus.”

Josch vermutet hinter der unnachgiebigen Haltung noch ein anderes Motiv: “Wir sind die erste Stadt ohne Büro. Ich denke, dass sie schauen wollen, wie das Gericht entscheidet.” Ganz von der Hand zu weisen ist diese Theorie nicht: Mit einem Präzedenzurteil könnte Foodora in anderen Städten ähnlich verfahren.

Keiner Schuld bewusst

Foodora selbst gibt sich auf Anfrage schmallippig: “Wir sind immer am Austausch mit unserer Fahrerflotte interessiert und befinden uns momentan in Gesprächen mit den Kolleginnen und Kollegen vor Ort, konnten aber noch keine finale Entscheidung treffen”, teilte das Unternehmen mit. Eine Rückfrage zu dem Statement beantwortete es nicht.

Ein Unternehmenssprecher gab sich gegenüber dem Branchendienst “NGIN Food” im März etwas redseliger: “Die Aussage, wir würden arbeitsbedingte beziehungsweise gewerkschaftliche Organisation verhindern, weise ich entschieden zurück.”


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