Rathaus

OB-Kandidat Tsakalidis: Sand im Getriebe

Ärger in der MBI: Neu-Ratsherr Georgios Tsakalidis. (Foto: Archiv)

Einer, der es wissen will: Dr. Georgios Tsakalidis. (Foto: Lothar Hill)

Acht Kandidaten haben ihren Hut für die Oberbürgermeister-Wahl in diesem Jahr bereits in den Ring geworfen. Georgios Tsakalidis ist einer von ihnen – und der einzige mit Migrationshintergrund. 

“Ich will Menschen eine Stimme geben, die in Münster keine Stimme haben”, verkündet Tsakalidis und bezieht sich dabei auf die rund 80.000 Menschen mit Migrationsvorgeschichte, die in Münster leben. Genau an dieser Stelle sieht er gehörigen Nachholbedarf. So falle die städtische Förderung für sogenannte Migrantenselbstorganisationen viel zu gering aus, kritisiert er.

“Kulturelle Vielfalt zerbröselt”

Der Integrationsrat finanziert diese mit der Hälfte seines eigenen Etats. 20.000 Euro für etwa 120 Vereine, die kulturelle sowie Bildungsarbeit leisten und beispielsweise Berufsberatung, Sprachkurse und Hilfe bei Behördengängen anbieten. Tsakalidis fürchtet einen Schwund der kulturellen Vielfalt. Eine Entwicklung, die er bereits in der abnehmenden Zahl dieser Organisationen manifestiert sieht.

Die Sensibilität für dieses Thema rührt auch aus Tsakalidis’ eigener Geschichte her. Der 52-jährige Münsteraner hat eine griechische und rheinländische Migrationsvorgeschichte und viel vor: Er will der erste migrantische Oberbürgermeister der Stadt Münster werden.

Tsakalidis studierte Politikwissenschaft, Soziologie und Pädagogik in Münster und hat sich in der Kommunalpolitik längst einen Namen gemacht. Seit 20 Jahren engagiert er sich unter anderem im Integrationsrat der Stadt Münster, im Ausschuss für Stadtentwicklung und im Jobcenter-Beirat. Als hauptamtlicher Integrationsberater des gemeinnützigen Vereins AFAQ setzt sich Tskalidis besonders für Neuzugewanderte ein, um ihnen einen bestmöglichen Start und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.

Nun tritt er auf dem Ticket der Liste “Münster – Bunt und International” als Oberbürgermeisterkandidat an, die erforderlichen Stimmen hat er fast zusammen. Zugleich führt er die Liste der Ratskandidaten an.

Verwaltung entspricht nicht dem Querschnitt der Bevölkerung

Tsakalidis hat bereits einige Projekte im Kopf, die er als Stadtoberhaupt umsetzen würde. Ganz oben auf der Liste steht eine Öffnung der Verwaltung, wie er es nennt. “Die sind alle militärisch durchdekliniert. Die wollen nichts sehen, nichts hören und nichts sagen”, schimpft er.

Die Verwaltung müsse, wenn sie die Interessen marginalisierter Gruppen vertreten wolle, ein Spiegel der Gesellschaft sein. Demnach müssten mindestens 20 Prozent der in der Verwaltung tätigen Menschen – entsprechend der Einwohner Münsters – eine Migrationsvorgeschichte haben. “Migranten, Queere, Quereinsteiger. Wir brauchen Menschen aller Couleur. Sonst reproduziert sich die Verwaltung selbst.”

Bis der Anteil der Migranten in der Verwaltung 20 Prozent erreicht hätte, würde er als Oberbürgermeister diese Personengruppe bei der Bewerbung bevorzugen – bei gleicher Qualifikation versteht sich. Und das gleiche gelte für Menschen mit anderen Berufen, Menschen mit Behinderungen und Menschen mit anderen Lebensmodellen. “Wir brauchen Lehrer im Bereich des Schulamtes und Musiker im Bereich des Kulturamtes.”

Die kleine Julia darf bleiben

“Ich bringe das ganze Modell durcheinander”, versichert Tsakalidis und wirkt dabei, als wolle er zu hoch hinaus. Dabei hat er bereits in der Vergangenheit sein Durchhaltevermögen unter Beweis gestellt. Wie im Falle der kleinen Julia.

Ehab Daraz, der mit seiner Tochter Julia 2015 illegal aus Ägypten nach Deutschland geflohen war, kam nach Münster, um seine Tochter im UKM behandeln zu lassen. Julia war schwer krank und die Operationen sowie eine weitere Behandlung der vermuteten Stoffwechselerkrankung lebensnotwendig.

Doch nachdem Julia an beiden Hüftgelenken operiert worden war und einen Vollgips trug, erhielt Daraz einen Brief vom Sozialamt. Er müsse die Stadt verlassen und nach Hückelhoven, wo er bei seiner Ankunft Asyl beantragt hatte, zurückkehren. Aber Hückelhoven hatte kein Krankenhaus und Julia würde die Spezialisten in Münster brauchen. Für Daraz kam Hückelhoven deshalb nicht in Frage, für die Behörden allerdings kam nicht in Frage, dass er in Münster bleibe.

Tsakalidis will Veränderung von unten

Hier kam Tsakalidis ins Spiel. Seine Lösung: Die Öffentlichkeit mit ins Boot holen. Er wandte sich an die Presse und die “Westfälischen Nachrichten” veröffentlichten einen Artikel über die Leidensgeschichte der kleinen Julia mit einem medienwirksamen Foto: Julia im Gips und ihr Vater, der ihr fürsorglich die Hand hält.

Das Resultat ließ nicht lange auf sich warten. Tsakalidis erhielt zahlreiche Anrufe aus der Bevölkerung, die sich beschweren wollten, dass Daraz und seine kranke Tochter nicht in Münster bleiben durften. Tsakalidis riet den Anrufern daraufhin, diese Beschwerden an den Oberbürgermeister zu richten und zwei Tage später rief die Sachbearbeiterin, die zuvor immer wieder beteuert hatte, sie könne nichts machen in diesem Fall, bei Tsakalidis an. Der Ausgang: Vater und Tochter durften in Münster bleiben.

Veränderung muss für Tsakalidis von unten geschehen. Seine Nonkonformität allerdings wird sicherlich nicht jedem schmecken. Er bezeichnet sich selbst als Freigeist, als Humanist, der mit Bürgern und nicht mit Strukturen arbeitet. Andere mögen ihn als Querulanten, als Quälgeist bezeichnen, aber eines ist er sicher: Sand im Getriebe der immer gleich mahlenden Mühlen.


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