Klartext

Die Stadtrand-Mehrheit: Münsters zerstrittene CDU im Abseits

Klärungsbedarf am Wahlabend: CDU-Aushängeschild Markus Lewe im Gespräch mit Journalisten.

Klärungsbedarf am Wahlabend: CDU-Aushängeschild Markus Lewe im Gespräch mit Journalisten.

Manchmal sagen Zahlen mehr als Worte! Münsters CDU, die vor gut 20 Jahren bei der Kommunalwahl 1999 noch mit 54 Prozent in der Domstadt alleine regieren konnte, sackte jetzt 2020 auf 32,7 Prozent ab. Das schlechteste Wahlergebnis seit 70 Jahren ist verbunden mit weitgehendem Macht- und Bedeutungsverlust, urteilt unser Kolumnist Rüdiger Sagel.

Noch kurz vor der Wahl verlautbarten die CDU und ihr Oberbürgermeister Markus Lewe frohgemut: “Uns fehlen jetzt zwei oder drei Prozent, dann kann in Münster keine Politik gegen die CDU gemacht werden.” Doch weit gefehlt, denn nun wollen die Grünen-Wahlsieger mit der SPD und den Volt-Neulingen eine Koalition bilden.

Die CDU steht seit 20 Jahren das erste Mal perspektivlos im ungewohnten Abseits. Wie Pfeifen im Walde klingt es da, wenn der CDU-Fraktionsvorsitzende Stefan Weber trotzig davon spricht, “eine stabile Mehrheit im Rat der Stadt Münster zu schmieden”, weil “die Münsteraner […] uns dazu als stärkste Fraktion […] den Auftrag erteilt” haben. Hier kämpft offensichtlich noch jemand um die Macht, die angesichts aktueller Entwicklung längst entglitten ist.

Wäre der blasse Weber als Fraktionsvorsitzender nicht ohnehin nur auf Abruf gewählt, wie man in gut informierten Parteikreisen munkelt, müsste man sich bei den Christdemokraten tatsächlich Gedanken machen, wie es mit ihm an der Spitze weitergeht. Doch längst stehen andere bei den einst stolzen, aber nun arg gebeutelten Christdemokraten am Ruder, verfolgen einen interessengesteuerten und wenig politischen Kurs. Doch auch das ist alles andere als konfliktfrei, wie nicht zuletzt die Äußerungen des Ex-Ratsherrn Baumann bei Facebook zeigten.

CDU-Bezirksbürgermeisterin abgestraft

Martina Klimek wurde erst vor ein paar Tagen als langjährige Bezirksbürgermeisterin abgewählt. Dabei fiel sie nicht inhaltlichen Differenzen, sondern wohl einer parteiinternen Intrige zum Opfer. Sie “geht davon aus, dass jemand aus den eigenen Reihen ihr die Stimme verweigert hat” und hat nun “angekündigt, dass sie ihr Mandat […] niederlegt”, was selbst den “Westfälischen Nachrichten” mehr als eine Nachricht wert war.

Dass die rein persönlichen Auseinandersetzungen in der jüngeren Geschichte von Münsters CDU eine gewisse Tradition haben, war bisher insoweit unproblematisch, da das Machtgefüge gesichert war, Einfluss und Bedeutung fast grenzenlos schienen und die politische CDU-Mehrheit stand. Kaum eine Rolle spielte da zum Beispiel, dass schon die jetzige CDU-Bundestagabgeordnete Sybille Benning bei ihrer ersten Kandidatur nur eine Kompromisskandidatin war.

Nachdem bereits Fraktionschef Weber im Vorfeld ausgebremst wurde, hatte man sie aufs heimische Trapez gehoben, um andere Machtbewusste sowie einen schwergewichtigen auswärtigen Kandidaten in die Schranken zu weisen. Doch nun ist die politische Lage grundlegend anders und die CDU befindet sich weit im politischen Abseits. Ob nach dem Rückzug der unscheinbar gebliebenen Bundestagabgeordneten der jetzt erneut ausgebrochene Machtkampf gleich mehrerer Kandidaten der Partei da weiter hilft?

Der Autor: Rüdiger Sagel ist ein politisches Urgestein in Münster. Lange Jahre saß er erst für die Grünen, dann für die Linkspartei zunächst im Landtag, zuletzt im Stadtrat. Seine aktive politische Karriere hat er mit Ablauf der Legislaturperiode beendet.
Der Autor: Rüdiger Sagel ist ein politisches Urgestein in Münster. Lange Jahre saß er erst für die Grünen, dann für die Linkspartei zunächst im Landtag, zuletzt im Stadtrat. Seine aktive politische Karriere hat er mit Ablauf der Legislaturperiode beendet.

Die innerparteilichen CDU-Auseinandersetzungen sind jedoch außerhalb der zerrupften Partei nur von begrenztem Interesse. Politisch viel interessanter ist neben dem Macht- der gravierende Bedeutungsverlust der Christdemokraten in der einstigen Hochburg: Hat die CDU von der fünf Jahre währenden Koalition mit der aufstrebende Konkurrenz der Grünen überhaupt einen Nutzen gehabt?

Faktisch hat sich der politische Einfluss der CDU deutlich verringert und sie ist lediglich eine Partei des Stadtrandes in Münster. Nur dort erhält sie noch bessere Wahlergebnisse als die Grünen. Wundert es da, wenn die CDU im Landtag NRW in Koalition mit der FDP nun eine formale Neuaufteilung der Wahlkreise versucht, um sich vermeintliche Vorteile bei der Landtagswahl 2022 zu sichern? Münsters bisherige zwei Wahlkreise sollen nun in drei Wahlkreise – unter Zerlegung der starken Grünen-Innenstadt – neu bestimmt werden.

Auch im Speckgürtel wird es schwierig

Offen ist aber, ob dies eine erfolgreiche Wahl sichert? Denn auch in den Außenstadtteilen, und vor allem im Speckgürtel Münsters, bröckelt es. Die Grünen stellen schon seit einiger Zeit den Bürgermeister in Telgte sowie neuerdings auch in Havixbeck und Altenberge. Zudem fielen nun gleich mehrere Bezirksbürgermeister-Posten selbst in den Außenstadtteilen Münsters an die Grünen und – fast ein Wunder – sogar an die SPD.

Zwar sind diese “Zaunkönige” (CDU-Ex-Oberbürgermeister Berthold Tillmann) stadtpolitische Zwerge. Doch wie dünnhäutig die CDU selbst bei diesem Verlust geworden ist, kann man daran erkennen, wie dabei der wendige, aber bisherige Partner FDP beschimpft wird. “Hier wird die Seele verkauft” und politische Grundsätze für ein Linsengericht werden über Bord geworfen”, sind da noch die harmloseren Sprüche, nachdem auch die FDP andere Kandidaten unterstützte.

Die Enttäuschung der CDU, auch darüber, dass niemand mehr mit ihnen ins Geschäft kommen will, scheint groß. Doch die Gründe liegen deutlich tiefer und ursächlich für das jetzige CDU-Abseits scheint, dass das bisherige Politikmodel der CDU nicht mehr zeitgemäß ist. Die schwarz-grüne Mehrheit und Rollenaufteilung in Münster funktionierte bisher insoweit, dass das CDU-Klientel mit Immobiliengeschäften und Wirtschaftsaufträgen das Geld verdiente und halbwegs zufrieden war, die Ökopartei hingegen mit viel Geld ihre Spielwiesen begrünen durfte.

Doch eine Glanzzeit war die schwarz-grüne Wahlperiode nicht. Es wurde teils heftig gestritten, viele Pannen trübten die Bilanz und es wurde insgesamt wenig erreicht. Die Spitzenpositionen mehrerer städtischer Gesellschaften mussten mittels Millionen-Abfindungen neu besetzt werden. Und die CDU mit ihrem Oberbürgermeister verhinderte durch die fristlose Entlassung des Chefs der Wirtschaftsförderung gerade noch, dass sie der drohende schwarze Schatten von Münsters Kindesmissbrauch-Skandal erreichte. Noch immer gibt es in diesem Zusammenhang aber offene Fragen.

Vom Zeitgeist entkoppelt

Die CDU-Niederlage und der Koalitionsbruch kurz vor der Wahl kamen bereits deswegen zustande, weil die CDU in der Verkehrs- und Strukturpolitik nicht mehr den Zeitgeist vertritt. Jetzt müsste eine Neuaufstellung erfolgen, doch da passen der Ausbau der Umgehungsstraße, der Hafenmarkt und Autovorrang auf der einen und die autofreie Innenstadt auf der anderen Seite nicht mehr zusammen. Da hilft es der CDU auch nicht, wenn sie zwar noch knapp die stärkste Fraktion ist, jedoch die Inhalte von der Wirtschafts- bis zur Verkehrs- und Umweltpolitik nicht übereinstimmen. Auch für schwarz-grüne Bündnisse in Land und Bund, wo in den nächsten zwei Jahren gewählt wird, verspricht dies keine guten Perspektiven.

Es ist fragwürdig, ob eine Angstkampagne jetzt wohl das richtige Mittel der Wahl ist. Ob die sich nun abzeichnende neue Mehrheit von der CDU mit abgedroschenen Sprüchen, wie “für politische Spielchen und ideologische Wolkenschiebereien” sei kein Platz, ins Bockshorn jagen lässt? Die CDU kann zwar hoffen, dass jede Koalition jenseits von ihr sowieso nur auf kurze Zeit angelegt ist. In der jetzigen Verfassung ist die inhaltlich schlecht aufgestellte und personell zerstrittene Partei für mögliche Koalitionspartner aber wenig attraktiv.

Münsters Oberbürgermeister Lewe, der seinen Posten gerade noch bei der Stichwahl mit knapper Mehrheit gegen den Grünen Kandidaten retten konnte, scheint da schon weiter. “Die Menschen sind schlau, wir müssen sie nicht bevormunden. Wir müssen zusammen mit den Menschen immer die nächsten zehn bis 20 Jahre im Blick behalten und uns als Stadtgesellschaft überlegen, wo wir hinwollen.“ So schlau scheint die CDU derzeit nicht – der politische Kurs der Zukunftsreise ist mehr als unklar.

Momentan ist deshalb bei Münsters CDU alles ziemlich grau!


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  1. Es hat ja seinen Reiz, die Kommentare von Rüdiger Sagel hier zu lesen. Nachdem er mit dem Versuch gescheitert ist, mit einer eigenen Liste dem neuen Rat anzugehören, hält er den Leser:innen jetzt im „Wiedertäufer“ seine ungehaltenen Rats-Reden. Als ehemaliges Mitglied von GAL/Grünen und anschließend der Linkspartei verfügt er zweifellos über viel Erfahrung – allerdings auch über eine vorhersehbare Perspektive. Journalismus geht irgendwie anders.

    1. Lieber Herr Polenz, Ihre Ausführungen konzentrieren sich aus meiner Sicht etwas zu sehr auf die Person. Rüdiger Sagel steuert hier etwas als Kolumnisst/Gastautor bei, seine Meinung bzw. Analyse muss nicht zwangsläufig mit jener der Redaktion übereinstimmen. Sie sind herzlich eingeladen, sich ebenfalls einzubringen. Vielleicht wollen Sie ja eine Gegenrede halten? Ich möchte betonen: Dieses Blog ist grundsätzlich offen für alle Demokraten aus allen politischen Richtungen. Viele Grüße,

    2. Die Kritik ist also, dass Herr Sagel als Politiker eine vorhersehbare Perspektive habe? Was genau ist der Unterschied zu RUMS-Kolumnen anderer Politiker/innen?

  2. Frau Benning wurde also ‘aufs Trapez gehoben’ ? Verständlich, dass langjährige Mandatsträger zu Bildern aus der Zirkuswelt greifen, aber was will Rüdiger Sagel nur damit ausdrücken? Möglicherweise ist gemeint: ‘aufs Tapet gebracht’, nämlich auf den Filzbelag eines Verhandlungstisches?

  3. Hallo Herr Dietrich, also “seine Meinung bzw. Analyse muss nicht zwangsläufig mit jener der Redaktion übereinstimmen” liest sich ja schön bei Ihnen. Klingt nach einem Riesenapparat, der da werkelt. Als Gelegenheitsleser habe ich eher den Eindruck, Sie sind da ein wackerer Einzelkämpfer. Also geht es letztendlich um eine Übereinstimmung mit Ihrer Meinung? Belehren Sie mich bitte durchaus eines Besseren!
    Ich habe nix gegen Herrn Sagel und es ist ja auch nicht doof, was er da schreibt, vor allem weil ja auch Münsters einzige Tageszeitung ein solches Thema gar nicht oder anders anpacken würde. Für mich ist er aber auch ein Dauer-gescheiterter Berufs-Politiker aus einem bestimmten Lager, irgendwie so der Mann von gestern. Von daher wäre es schön, wenn uns die Stadtpolitik hier auch mal aus anderer Perspektive, vielleicht einer jungen und frischen heraus erklärt würde. So als Abwechselung und als Beitrag zur Meinungsvielfalt!

  4. Hallo Herr Dietrich, also “seine Meinung bzw. Analyse muss nicht zwangsläufig mit jener der Redaktion übereinstimmen” liest sich ja schön bei Ihnen. Klingt nach einem Riesenapparat, der da werkelt. Als Gelegenheitsleser habe ich eher den Eindruck, Sie sind da ein wackerer Einzelkämpfer. Also geht es letztendlich um eine Übereinstimmung mit Ihrer Meinung? Belehren Sie mich bitte durchaus eines Besseren!
    Ich habe nix gegen Herrn Sagel und es ist ja auch nicht doof, was er da schreibt, vor allem weil ja auch Münsters einzige Tageszeitung ein solches Thema gar nicht oder anders anpacken würde. Für mich ist er aber auch ein Dauer-gescheiterter Berufs-Politiker aus einem bestimmten Lager, irgendwie so der Mann von gestern. Von daher wäre es schön, wenn uns die Stadtpolitik hier auch mal aus anderer Perspektive, vielleicht einer jungen und frischen, heraus erklärt würde. So als Abwechselung und als Beitrag zur Meinungsvielfalt!

    1. Lieber Herr Richard, die Redaktion, das bin nicht nur ich, auch wenn ein Großteil der Arbeit von mir geleistet wird und ich am Ende verantwortlich bin. Dazu gehören aucn noch Edina Hojas und Philipp Schröder. Herr Sagel schreibt als Gastautor eine Kolumne.

      Zum Thema Meinung: Was Herr Sagel schreibt, würde ich persönlich nicht alles unterschreiben, aber das spielt keine Rolle. Es geht darum, Debatten zu führen und das ist nunmal nur mit unterschiedlichen Meinungen/Einschätzungen/Analysen möglich. Ich schreibe hier auch gelegentlich Meinungsbeiträge, die sind dann entsprechend gekennzeichnet.

      Was mich – offen gesagt – etwas stört, ist, dass Sie und auch Herr Polenz sich nicht mit der Argumentation von Herrn Sagel auseinandersetzen, sondern seine Person und seine Vorgeschichte thematisieren.

      Ich habe bereits in meiner Antwort auf den Post von Herrn Polenz und auch in der Vergangenheit deutlich gemacht, dass dieses Blog grundsätzlich offen ist für alle Demokraten aus allen politischen Richtungen.

      Viele Grüße

  5. Hallo Herr Dietrich,

    ihre Nachsichtigkeit gegenüber diesen ‘ad personam’ geführten Attacken ist bewundernswert. Aus meinen nun fast 17 Jahren als Betreiber eines Weblogs kann ich Ihnen versichern, dass bei Wiederholung nur eine Sperre helfen wird. Wenn die Schreiber keine nachvollziehbaren Argumente haben werden sie immer wieder zu dergleichen Anwürfen greifen.

    Da ich von Herrn Polenz bisher eine hohe Meinung hatte musste ich mir verwundert die Augen reiben diese Einlassung von ihm hier zu lesen.

    Danach zu urteilen ist es wohl nicht nur in Münster schlecht um die CDU gestellt. Wenig verwunderlich, wenn man die Politik von vorgestern unter Einfluss von Kirchen und Verbänden, also Klientelpolitik macht. Anstatt Entwürfe für eine zukünftige und gerechtere Gesellschaft für diejenigen zu machen, die mit ihrer Stimme seit Jahrzehnten Politik gegen ihre eigenen Interessen ermöglicht haben. Die Dreistigkeit mehrerer momentaner Minister sich gegen höchtsrichterliche Urteile immun zu verhalten, ohne Rüge durch die Kanzlerin, zeigt, dass es keine Gründe mehr gibt CDU zu wählen – zudem die Perspektive abgehalfterte, plötzlich wieder aus der Versenkung geholte Kandidaten für die Kanzlerschaft aufmarschieren zu lassen machen die Wahlentscheidung für andere Parteien nicht schwer.

    PS
    Wer ist denn dieser Herr Richard, der sich aufs hohe Ross setzt und auch noch Sie in misslungener Ironie angreift?

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