Klartext

Die Biedermänner versuchen sich als Brandstifter

Symbolbild: Konservative Kreise wollen bei Grünen, SPD und Volt zündeln.

Symbolbild: Konservative Kreise wollen bei Grünen, SPD und Volt zündeln.

Geschichte wiederholt sich. Nicht häufig, aber es kommt vor. Genau das ist derzeit zu beobachten. Die sich abzeichnende Rathaus-Koalition steht unter Feuer aus dem konservativen Lager – genau wie Rot-Grün 1999. Die Partner von heute drohen die Fehler von damals zu wiederholen, warnt unser Kolumnist Rüdiger Sagel. Und die Wahlverlierer stehen mit Streichholz und Benzinkanister in der Hand bereit.

Eine kurze Rückblende: Als 1994 eine rot-grüne Mehrheit zum ersten Mal in Münsters Stadtgeschichte regierte, erhob sich nach kurzem Schockzustand, in christlich-konservativen Kreisen ein Sturm der Entrüstung. Angeführt von der abgewählten CDU und mit Begleitung des konservativen Teils der Lokalpresse als Sprachrohr wurde ein “Kulturkampf” ausgerufen.

Der begann 1995 schon mit der von der neuen Mehrheit vereitelten Aufstellung einer künstlerisch fragwürdigen, aber ideologisch hoch aufgeladenen “Madonna im Südpark”, und fand alsbald einen neuen Höhepunkt. Anlass dafür ist die von SPD und Grünen vorgesehene Planung einer Gesamtschule im Ostviertel. Man witterte damals in den aufgeputschten Kreisen, nach der unterstellten Ablehnung christlicher Symbolik bei der Madonna im öffentlichen Raum, nun ein sozialistisches Gleichstellungsmodell mit der geplanten Umerziehung von Schülerinnen und Schülern.

Der “Aufstand gegen Veränderung” (WN, 24.7.2018) endete 1996 mit der Siegesfeier von CDU und Elternvertreter*innen nach erfolgreichem Bürgerentscheid. So wurde ein wirksames Exempel statuiert, dass der rot-grünen Koalition eines deutlich machte, dass bei allem Veränderungswillen doch Vorsicht geboten war. Eine Spaltung, oder gar kurzfristige Ablösung der Koalition, gelang der CDU jedoch nicht.

Kurze Zündschnur

Die damalige Regentschaft von SPD und Grünen endete aber trotzdem 1999 nach fünf Jahren mit der Abwahl und neuerlicher absoluter Mehrheit für die CDU durchaus erfolgreich. Soll nun dieses Modell mit heutzutage umstrittenen Themen erneut exerziert werden, nachdem die städtische, kulturelle Hegemonie mittlerweile weitgehend zugunsten der Grünen geklärt ist? Im Gegensatz zu den damaligen Auseinandersetzungen geht es heute in der CDU längst profaner zu. Nun sind es eher die mittlerweile bürgerlich angepassten Grünen, die nicht nur in der Vortragsform mit einem ideologischen und fast missionarisch anmutenden Sendungsbewusstsein daherkommen.

Trotzdem sind die vorherrschenden Interessen bei der CDU eindeutig. Selbst aus den eigenen Reihen als “Immobilienmafia” kritisiert, geht es vor allem darum, wirtschaftlich zu profitieren, denn städtische Aufträge und Immobilien sind lukrativ. Damit dies gelingt, versucht die CDU-Spitze, im Bunde mit der heimischen Wirtschaftslobby und einer örtlich alarmierten Bürgerschaft, bei verschiedenen Themen, die in der neuen Koalition entweder umstritten oder konträr sind, diese vor sich her zu treiben, um selber wieder an die politischen Schaltstellen zu gelangen. Doch ist es nicht sehr durchsichtig und wenig zukunftsweisend, wenn man auf Teufel komm raus nur versucht die Koalition zu spalten? Und dies aus reinem Eigennutz, um selber möglichst schnell wieder zur bestimmenden Kraft einer Ratsmehrheit zu werden?

Der Autor: Rüdiger Sagel ist ein politisches Urgestein in Münster. Lange Jahre saß er erst für die Grünen, dann für die Linkspartei zunächst im Landtag, zuletzt im Stadtrat. Seine aktive politische Karriere hat er mit Ablauf der Legislaturperiode beendet.
Der Autor: Rüdiger Sagel ist ein politisches Urgestein in Münster. Lange Jahre saß er erst für die Grünen, dann für die Linkspartei zunächst im Landtag, zuletzt im Stadtrat. Seine aktive politische Karriere hat er mit Ablauf der Legislaturperiode beendet.

Der Plan zur Durchsetzung eines CDU-Ratsbündnis scheint, auch wenn nicht sofort, so doch trotzdem nicht ganz chancenlos. Im Gegensatz zu damals mit einer SPD-Oberbürgermeisterin, ist jetzt auch die Stadtspitze im Bunde. Der wiedergewählte Oberbürgermeister Lewe (CDU) versucht bereits schon mit gezielten Ratsvorlagen oder Vorschlägen der Stadtverwaltung, wie aktuell zur B 51/A 43, den notwendigen Diskussionsstoff zur Spaltungsdebatte zu liefern. Auch gibt es sowohl bei der SPD als auch bei den Grünen, die gerade erst eine fünfjährige Koalition mit der CDU beendeten, etliche Sympathisanten für ein CDU-Bündnis.

Darüber hinaus sind anstehende Themen in den Wahlprogrammen bei den Koalitionsverhandlungen von Grünen, SPD und Volt, wie die Notwendigkeit eines neuen Stadtteils, um die grassierende Wohnungsnot zu bekämpfen, oder die weitere Hafenplanung höchst umstritten und werden maximal in Formelkompromissen zu lösen sein. Ein Leichtes für die CDU auch, das ungeklärte ob und wie des weiteren Ausbaus der Windenergie, “unverzichtbar” für die Grünen, oder der Sanierung des maroden Preußenstadions hochzupuschen.

Und wenn selbst schon das Für und Wider der Heizpilze für Corona geschädigte Gaststätten, die laut Stadtverwaltung “in diesem Winter zu dulden” seien, oder der problematische Weiterbau der Umgehungsstraße als Stadtautobahn B51/A43, als Reizstoff taugen, dann könnte es schwierig werden. Insbesondere, wenn dann noch sofort knallharte Statements von Grünen kommen, die mit einer besonders kurzen Zündschnur ausgestattet sind. Ob man hier klug beraten ist, über jedes Stöckchen, das hingehalten wird, zu springen, und das auch noch ohne vorherige Meinungsbildung in der Koalition? Zudem auch die persönliche Profilierung einzelner und teils neuer Ratsmitglieder in den Vordergrund zu stellen?

Profilierung statt Provokation

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Stefan Weber äußert klipp und klar: “Münster will den Zusammenhalt und keinen Linkskurs”, auch wenn er zunächst noch in Wartestellung ist. Mit dem Slogan der “Verantwortungsgemeinschaft”, bei der die CDU nicht außen vor bleiben sollte, wird er dabei durch die konservative Lokalpresse unterstützt. Deren Herausgeber Benedikt Hüffer selbst trommelt an der Spitze der Industrie- und Handelskammer (IHK), “die Geschäfte vor Ort durch diese schwere Zeit” zu bringen und seit langem auch für den Ausbau der höchst umstrittenen Umgehungsstraße B51/A 43 (WDR, 16.11.2020).

Sicherlich ist ein florierender Handel, eine gut erreichbare Innenstadt und eine Wirtschaft, die Arbeitsplätze und ein gutes soziales Klima sichert, genauso wichtig wie eine nachhaltige Klimapolitik, damit Münsters Zukunft sich gut entwickelt. Doch wer da wie, und aus welchem Interesse, mit sachlich berechtigten Argumenten um die konservative Ecke kommt, ist mehr als fragwürdig. Klar bleibt aber: Die CDU ist jederzeit bereit entweder mit der SPD, oder wieder mit den Grünen, eine Koalition einzugehen.

Keine Frage: Die Koalitionspartner werden sich profilieren müssen und gerade die SPD droht noch weiter an Boden zu verlieren, wenn sie nicht klare Positionen und ihre Rolle findet. Doch wird man mit provozierten Maximalpositionen, wie sie gerade aus den Grünen Reihen kommen, nicht eher der Opposition weiter in die Karten spielen? Oder ist das schon Teil des Szenarios, um das Ganze als Koalitionsprojekt auf Zeit schon nach der Bundestagswahl im nächsten Jahr wieder beenden zu können?

Eines scheint klar: Gerade jetzt darf es nicht um persönlich motivierte Interessen gehen. Wenn jedoch keine machbaren Konzepte profiliert und gemeinsam Alternativen realisiert werden, wird es kaum gelingen, Münsters Bürgerschaft für eine eigentlich dringend notwendige soziale und ökologische Politik mitzunehmen.

Dann wird es bei SPD und Grünen nur Verlierer geben. Genau das konnte man 1999 bei beiden Parteien schon einmal erleben!


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  1. Der Kommentar unterstellt ohne jeden Beleg, dass sich die CDU-Mitglieder im Rat persönlich bereichern wollten. Das überschreitet mE auch für die Narrenfreiheit, die Herrn Sagel eingeräumt wird, die zulässigen Grenzen, wenn der Wiedertäufer als Informations-Blog ernst genommen werden will. Bei der Vorstellung von Herrn Sagel fehlt ein wichtiger Hinweis: „Seine aktive politische Karriere hat er mit Ablauf der Legislaturperiode beendet, nachdem er mit seinem Versuch gescheitert war, über eine eigene Liste erneut in den Rat gewählt zu werden.“

    1. Lieber Herr Polenz, der von Ihnen genannte Passus im Text ist auch hier intern diskutiert worden, in dieser Form aber noch von der Meinungsfreiheit gedeckt. Das ist am Ende maßgeblich und nicht die Frage, ob man mit Herrn Sagels Meinung übereinstimmt oder welche Vita unter seinem Foto steht.

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