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Bürgerasyl: Letzter Ausweg Untergrund

Bürgerasyl Symbolbild

Symbolbild Bürgerasyl: Geflüchtete haben nicht in allen Ländern der EU die gleichen Rechte. 

Sie wollen Menschen ein Asylverfahren in Deutschland ermöglichen: Die Aktion Bürger*innenasyl hilft seit Jahresbeginn Geflüchteten in Münster – und nimmt dafür auch Ärger mit der Justiz in Kauf.

Ramin hat es geschafft. Das Asylverfahren des Iraners läuft inzwischen und mit etwas Glück wird er dauerhaft in Deutschland leben können. Jetzt hat der junge Mann eine Perspektive in seinem Leben, er macht eine Ausbildung in diesem neuen Land, das ihm Schutz gewähren könnte. Ramin, der eigentlich anders heißt, musste aus seiner Heimat fliehen, weil er zum Christentum konvertiert war.

Seine Verwandten waren mit diesem Schritt nicht einverstanden und informierten den Geheimdienst, berichtet er am Telefon: “Sie haben mich bedroht, ich sollte dem Christentum abschwören.” Was Ramin getan hat, ist aus Sicht der Behörden in Iran keine Bagatelle. Apostasie kann mit dem Tode bestraft werden, wenngleich ein solches Urteil schon lange – zumindest offiziell – nicht mehr vollstreckt wurde. “Eine Anschuldigung wegen Apostasie kann schwerste Sanktionen nach sich ziehen”, schrieb das Bundesamt für Flüchtlinge in seinem Länderreport Iran im vergangenen Jahr.

Am Ende blieb Ramin nur noch die Flucht, über einen Schlepper gelangte er an ein französisches Schengen-Visum. In Deutschland stellte er schließlich seinen Asylantrag, doch damit fingen die Probleme erst an. Die Dublin-III-Verordnung nämlich besagt, dass Asylsuchende dort ihren Antrag stellen müssen, wo sie das erste Mal die Europäische Union betreten haben.

Rettung im Bürgerasyl

Im Fall von Ramin war das Frankreich und nicht Deutschland, weswegen er dorthin hätte abgeschoben werden sollen. Das Problem in Frankreich aber sei, erklären Ramins Unterstützer, dass das Land aufgrund seiner guten Beziehungen nach Iran Asylbewerber im Regelfall dorthin weiter abschiebt. Für Ramin stand fest: “Ich wollte mein Leben nicht riskieren.” Er kam zunächst im Kirchenasyl unter, später versteckten ihn Aktivisten bei sich, bis die 18monatige Dublin-Überstellungsfrist abgelaufen war. Nun konnte er ein Asylverfahren in Deutschland anstrengen.

Fälle wie Ramin gibt es zuhauf. “Menschen, die nach Griechenland oder Italien abgeschoben werden, haben keine Chance und keine Unterstützung”, sagt Petra Fischbach vom zu Jahresbeginn gegründeten Verein Aktion Bürger*innenasyl Münster. “In diesen Staaten wird ihnen das Recht auf Asyl verwehrt”, klagt sie. Bereits 124 Menschen aus Münster haben sich bereiterklärt, Geflüchtete bei sich zu Hause aufzunehmen oder sie anderweitig zu unterstützen, um sie vor einer Dublin-Rückführung zu schützen.

Vier Menschen befinden sich derzeit in der Obhut der Unterstützenden. Das Ziel: Nach Ablauf der Überstellungsfrist von 18 Monaten sind sie raus aus der Dublin-Spirale und können wie Ramin das Asylverfahren in Deutschland durchlaufen. Die Aktion selbst spricht von einem “Akt zivilen Ungehorsams”.

Juristisch nicht zulässig

Der wiederum ist aus der Not geboren. Bekannter und etablierter ist das Kirchenasyl, doch diese Lösung ist nur sehr beschränkt verfügbar. Erschwerend kommt hinzu, dass die Innenministerkonferenz die Frist, nach der es möglich ist, Menschen nach der Dublin-Verordnung abzuschieben, 2018 von sechs auf 18 Monate verlängert hat. “Das ist bei den Kirchen auch eine Frage der Kapazitäten, viele Gemeinden sind zurückhaltend und 18 Monate eine lange Zeit”, erklärt Fischbach.

Unumstritten ist das Bürgerasyl auch in der Geflüchtetenhilfe nicht. Bernd Mesovic, Sprecher von Pro Asyl, sagte der Nachrichtenagentur “epd” bereits vor zwei Jahren: “Dem Kirchenasyl liegt ja eher die Idee einer Denkpause zugrunde, mit der man eine Abschiebung kurzfristig erstmal aufhalten will.” Beim Bürgerasyl vermisse er “eine weitergehende Handlungsperspektive”.

Aus Sicht der Behörden erfüllt die Gewährung von Bürgerasyl den Tatbestand der “Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt”, der eigentlich bei Schleppern Anwendung findet. Ein “Bürgerasyl” sei im deutschen Recht nicht vorgesehen, erklärte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums der Nachrichteagentur “dpa” im Jahr 2019. “Es ist nicht akzeptabel, dass es eigenmächtig zur Verhinderung von Dublin-Überstellungen oder Rückführungen durchgeführt wird.” Zu Verurteilungen ist es bislang nocht nicht gekommen.

Neben der juristischen stellt sich aber auch eine moralische Frage, weswegen die Aktivisten die Rechtswidrigkeit ihres Handelns bewusst in Kauf nehmen. Handelt es sich beim Bürgerasyl letztlich nicht um die rote Ampel, die der Notarzt auf dem Weg zum Einsatzort überfährt? Ist in anderen EU-Ländern ein Asylverfahren nach unseren Standards gewährleistet?

Keine Zuflucht in Frankreich

Die Aktion Bürger*innenasyl Münster verneint dies. Sie gewährt beispielsweise einer Frau aus Guinea Unterschlupf, die nach Italien abgeschoben werden soll. Dort aber gebe es keine Unterstützung für die Geflüchteten, beklagt Fischbach. Sie spricht von “mafiösen Strukturen” und dass Frauen dort die Zwangsprostitution drohe.

Die Geschichte der Iranerin Leila und ihre Tochter ist eine andere. Sie gehören der religiösen Minderheit der Bahai an, die in Iran Repressalien und Verfolgung ausgesetzt ist. Beide kamen zusammen über Frankreich nach Deutschland, wo sie in einem Flüchtlingsheim zunächst untergebracht, dann aber getrennt wurden. Leilas Tochter schoben die Behörden nach Frankreich ab, wo sie erfolglos Asyl beantragt hat.

Ihre Tochter habe psychische Probleme, könne den Arzt nicht bezahlen, berichtet Leila unter Tränen am Telefon. Auch sie soll zurück nach Frankreich, zwischenzeitlich nutzte auch sie das Bürgerasyl. Gegen die Aussetzung der Überstellungsfrist, die die Behörden wegen Corona vorgenommen haben, hat sie erfolglos geklagt. Doch es gibt Hoffnung: Vor dem Bundesverwaltungsgericht sind in der Sache noch diverse, ähnlich gelagerte Verfahren anhängig. Eine Entscheidung wird im Januar erwartet.


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