Stadtgeschichte(n)

Der Mann, der Björn Höcke enttarnte

Andreas Kemper - hier auf einem Foto aus dem Jahr 2016 - recherchierte mehrere Jahre zu Björn Höcke - jetzt werden seine Erkenntnisse gewürdigt. (Foto: Archiv/Stephan Röhl/CC BY-SA 2.0)

Andreas Kemper – hier auf einem Foto aus dem Jahr 2016 – recherchierte mehrere Jahre zu Björn Höcke. Jetzt werden seine Erkenntnisse gewürdigt. (Foto: Archiv/Stephan Röhl/CC BY-SA 2.0)

Der Verfassungsschutz nimmt die AfD ins Visier: In der letzten Woche erklärte der Inlandsgeheimdienst die umstrittene Partei zum “Prüffall”. Dabei stützen sich die Schlapphüte unter anderem auf die Erkenntnisse des Münsteraner Soziologen Andreas Kemper. Der forscht schon seit Jahren zu deren Führungskader Björn Höcke – wurde bislang aber nicht gehört. 

“Für mich ist das nach der langen Zeit eine Genugtuung, dass der Verfassungschutz meiner Argumentation folgt”, erklärt Kemper. In der aktuellen Ausgabe berichtet der “Spiegel” von einem mehr als 400 Seiten umfassenden Gutachten zum AfD-Komplex, in dem sich der Geheimdienst explizit auf die Erkenntnisse des Münsteraners bezieht. Zahlreiche Medien zogen in den vergangenen Tagen nach und verwiesen auf die Recherchen des 55-Jährigen, der bereits seit der Gründungszeit der Partei zur AfD forscht. Seither hat er zahlreiche Publikationen zum Themenbereich der “Neue Rechten” verfasst – und ist dabei durchaus schon in der Szene angeeckt.

Dass seine Erkenntnisse überhaupt einmal ausgerechnet für den Verfassungsschutz von solch großem Interesse sein würden, hätte Kemper nicht erwartet. Das besagte Gutachten ist die Grundlage für das Prüfverfahren gegen die AfD sowie die Einstufung der Jugenorganisation Junge Alternative und der völkisch-nationalistischen Gruppierung “Der Flügel” um deren Spiritus Rector Björn Höcke als “Verdachtsfälle”.

Die Begründung ist eindeutig: “Das durch den ‘Flügel’ propagierte Politikkonzept ist auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von Ausländern, Migranten, insbesondere Muslimen, und politisch Andersdenkenden gerichtet.”

Man kennt sich

Die Autoren des Dokuments, das den Wiedertäufern in Auszügen vorliegt, verweisen in dem Kapitel zur Vorgeschichte von Björn Höcke – der mit über 600 Nennungen eine prominente Rolle einnimmt – auf die “akribische und umfangreiche” Arbeit Kempers. An deren Beginn stand zunächst der Zufall Pate. Der Sozialwissenschaftler war in einer Rede Höckes über den aus dem NS-Vokabular entlehnten Begriff “organische Marktwirtschaft” gestolpert: “Ich habe damals intuitiv recherchiert”, erinnert er sich.

Den ersten Hinweis brachte letztlich nicht das Wälzen von Büchern in Bibliotheken, sondern Google. Der einzige Treffer verwies auf den Text eines gewissen Landolf Ladig. In der Folge fand Kemper zwei weitere Artikel des mysteriösen Autors, die 2011 und 2012 allesamt in NPD-Publikationen erschienen waren: “Das ist ein Netzwerk, wurde mir damals klar.”

Die Verbindungen sind offensichtlich: Ladig schrieb im lokalen Parteiblatt “Eichsfeld-Bote”, das seinen Namen passenderweise vom Wohnort des mit Höcke bekannten, militanten Neonazis Thorsten Heise ableitet. Dieser ist zugleich Herausgeber von “Volk in Bewegung & Der Reichsbote”, wo zwei weitere Ladig-Texte erschienen. Dessen mutmaßliches Alter Ego wohnt direkt um die Ecke in Bornhagen.

Björn Höcke = Landolf Ladig

Diese augenscheinlichen Parallelen könnten aber auch dem Zufall geschuldet sein. Kemper glich deswegen die Ladig-Texte mit Begriffen und Teilen von Reden, Aufsätzen und Leserbriefen ab, die Höcke verfasst hatte, analysierte Sprach- und Argumentationsmuster. Teilweise glichen sich Textpassagen und bestimmte Termini, in einem Fall fand Kemper den gleichen Übersetzungsfehler bei beiden Autoren. Am Ende war für ihn klar: “Höcke ist Ladig.”

Björn Höcke, Chef des AfD-Landesverbandes in Thüringen. (Foto: Archiv/Alexander Dalbert/CC BY-SA 3.0)
Björn Höcke, Chef des AfD-Landesverbandes in Thüringen. (Foto: Archiv/Alexander Dalbert/CC BY-SA 3.0)

Doch jahrelang stand Kemper mit dieser Erkenntnis allein auf weiter Flur. Das änderte sich schlagrtig in der vergangenen Woche, als der “Spiegel” aus dem Gutachten des Verfassungsschutzes zur AfD zitierte. Darin heißt es: “Die drei analysierten ‘Ladig’-Texte bringen eine zweifelsfrei verfassungsfeindliche Haltung zum Ausdruck.” Kemper habe belegt, dass Ladig “nahezu unbestreitbar” das Pseudonym von Höcke sei.

Und nun? “Die Wähler der AfD wird das nicht beeinflussen”, ist sich Kemper sicher. Eine relevante Dimension hat der Ladig-Höcke-Komplex dennoch. Das belegt nicht zuletzt der Umstand, dass Gesinnungsgenossen den dilettantischen Versuch unternahmen, selbst als Ladig zu publizieren. “Das waren Versuche, ihn aus der Schusslinie zu nehmen”, sagt Kemper, der darauf verweist, dass gegen ihn noch nie juristisch vorgegangen wurde.

Ärger für die Lehrer

Warum Höcke selbst nicht unter Klarnamen publiziert haben könnte, liegt auf der Hand. Als verbeamteter Lehrer hätte er Ärger fürchten müssen wegen seiner eindeutigen Einlassungen. Die Erfahrung hatte er bereits 2006 wegen eines Leserbriefs in der “Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen” gemacht. Dieser habe wegen seiner “geschichtsrevisionistischen Grundtendenz” im Schulumfeld Aufsehen erregt, schreiben die Verfassungsschützer. Karl-Heinz Weißmann, treuen Lesern im Zusammenhang mit seinem letztjährigen Auftritt in der Stadtbücherei bekannt, riet ihm dazu, sich zu entscheiden zwischen Tutor und Agitator.

Losgelöst von der schlechten Presse, da ist sich Kemper sicher, werde das Thema Verfassungsschutz und die Darlegung der Verbindung nach ganz rechts für Unruhe in der AfD sorgen: “In der Partei brodelt es.” Nach seiner Einschätzung könnte nun auch das ein oder anderen AfD-Mitglied in die Bredouille kommen: “Darunter sind viele Beamte, die ihren Kopf sicherlich nicht für Höcke hinhalten wollen.”


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