Klartext

Zweite Welle für Rot-Grün

Der Autor: Rüdiger Sagel ist ein politisches Urgestein in Münster. Lange Jahre saß er erst für die Grünen, dann für die Linkspartei zunächst im Landtag, zuletzt im Stadtrat. Seine aktive politische Karriere hat er mit Ablauf der Legislaturperiode beendet.

Der Autor: Rüdiger Sagel ist ein politisches Urgestein in Münster. Lange Jahre saß er erst für die Grünen, dann für die Linkspartei zunächst im Landtag, zuletzt im Stadtrat. Seine aktive politische Karriere hat er mit Ablauf der Legislaturperiode beendet.

“Alles muss sich ändern, damit alles bleibt, wie es ist.” Die Situation Münsters und der aktuelle Zeitgeist wird durch den berühmten Satz des Tancredi treffend beschrieben. Grundlegende Veränderungen sind notwendig, wofür die lange herrschende CDU weder die visionäre Kraft noch die notwendige Handlungsentschlossenheit aufbringt und sie die Mehrheit der Bürgerschaft ihnen auch nicht mehr zutraut. Wie im berühmten Roman „Der Leopard“ von Giuseppe Tomasi di Lampedusa haben Grüne und SPD jetzt die Chance auf Neugestaltung. Doch der zweite Versuch, die Käseglocke über Münsters Prinzipalmarkt die 1994 noch wesentlich dichter war zu lüften, sollte nun gelingen, meint unser Gastautor Rüdiger Sagel.

Im Gegensatz zu jetzt, hatten weder SPD noch Grüne bis 1994 weder größeren Einfluß auf die Stadtpolitik gehabt, noch die meist absolute Mehrheit der CDU brechen können. Doch gerade nun, in harten Corona-Zeiten, wird der zweite Versuch Münster sozial-ökologisch umzugestalten nicht einfacher. Und die Bedingungen waren 1994 ungleich besser.

Denn damals kamen nicht nur beide Parteien aus der Opposition und waren schon im Vorfeld der Wahl durch gemeinsame Aktionen, wie zur “Autofreien Innenstadt” im gemeinsamen Schulterschluß erprobt. Auch an der Stadtspitze stand mit einer sozialdemokratischen Oberbürgermeisterin nicht der oberste Gegner gegen rot-grün sondern eine eigene Kraft. Von den einst reichlich sprudelnden Finanzquellen ganz zu schweigen.

Aufbruch oder Scheitern in den Mühlen

Ein neuer Geist wehte 1994 durch die Stadt, die offener und bunter wurde, was sich von da an nicht zuletzt durch die vielen Straßencafes und in der Kunst- und Kulturszene widerspiegelte. Mit einem größeren Wurf in der Wohnungspolitik, einem “Handlungsprogramm Wohnen” und u. a. immerhin mehr als 6000 neuen Wohnungen in der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme Gievenbeck, gelang rot-grün sozialpolitisch immerhin, die auch damals schon grassierende Wohnungsnot und das Preisniveau zu mildern. Darüberhinaus wurden in den fünf Jahren Regentschaft aber fast nur Einzelprojekte realisiert, wie ein neues Halllenbad Mitte, die Fahrradstation am Hbf oder die Villa ten Hompel als Geschichtsort -und selbst diese nur gegen heftigen Protest der Opposition.

Viel zu Vieles blieb in Anfängen oder in der Verwaltungsmühle stecken, wurde aus Angst vor der immer noch starken und gut organisierten CDU und der Wirtschaftslobby letztlich zu langsam und unentschlossen angegangen. In breiten und lang angelegten Konsensrunden wurden ambitionierte Vorhaben totgeredet und letztlich oft nur Papier und noch mehr Protokolle produziert. Etliche Projekte wurden in sogenannten Prüfaufträgen auf die lange Bank geschoben und Studien in Auftrag gegeben, um der Notwendigkeit entschlossenen Handelns auszuweichen.

So lagen 1999 zum Ende der Ratsperiode dann z. B. zwar eine Machbarkeitsstudie für eine Stadtbahn und die Reaktivierung der Westfälischen Landeseisenbahn (WLE), nebst der Zusage einer weitgehenden Landesförderung durch die damalige rot-grüne Landesregierung vor, doch realisiert wurde sie bis heute nicht. Gescheitert war damit auch, das bereits damals vollmundig verkündetet Versprechen einer “Autofreien Innenstadt”. Mit mehreren Anläufen und Anträgen gelang es nicht einmal den Domplatz autofrei zu bekommen, was das einstige grundlegende Scheitern in diesem Punkt verdeutlicht.

Wieder interessant, dass das umstrittenste Projekt und der größte Streitpunkt schon damals wie heute erneut ein Einkaufszentrum ist. Für eine Handelsstadt wie Münster vielleicht nicht gänzlich verwunderlich. Der “Preußenpark” mit dem ECE-Einkaufszentrum wurde, wie im heutigen Koalitionsvertrag der “Hafenmarkt”, in Dissens gestellt und die Abstimmung darüber den Koalitionären freigegeben.

Vor dem Hintergrund der damaligen Erfahrung, würden sich die einstigen Koalitionäre sicherlich fragen, ob es ausreicht, wenn eine Ratsmehrheit einfach etwas beschließt. Denn es braucht immer und gerade in stadtstrukturell wichtigen Projekten nicht nur eine konstruktive Verwaltung, sondern auch einen breiteren bürgerschaftlichen Konsens mit der Politik. Gerade das Beispiel “Preußenpark” lehrt, dass ansonsten Projekte auch jetzt wie damals, vor Gericht scheitern können.

Kommunikation und Stringenz notwendig

Selbst einer großen Mehrheit von SPD und Grünen gelangen gegen die CDU, als damals alleinige Opposition im Stadtrat, nur Teilerfolge. Wie würden die Akteure von Grünen und SPD rückblickend jetzt erfolgreich Politik gestalten? Wie kann es starken und tonangebenden Grünen mit einer zögerlichen SPD und Volt nun gelingen, die Stadt über den gerade vorhandenen Stillstand zu bringen? Es war kein guter Anfang, wenn es kaum gelingt, sich auf einen Koalitionsvertrag zu verständigen, der zwar zu sehr Vielem Stellung nimmt, aber zu wesentlichen Punkten auch offen bleibt oder schweigt.

Um Projekte tatsächlich durchzusetzen muss dafür eine Koalition gerade bei knappster Mehrheit wie jetzt nicht nur zusammen wachsen, sondern vor allem auch die notwendige Stringenz aufbringen? Eine breite und offene Kommunikation ist gut und notwendig, aber es gilt auch Widerstände zu überwinden.

Was sicherlich nicht hilft, ist ein vielstimmiger Chor von Einzelinteressen statt einer klaren Führung. Zwischen 1994 und 1999 hat man dies durch gute Abstimmung zwischen den Koalitionspartnern in den zweimal monatlich stattfindenden Koalitionsrunden versucht. Doch selbst dies führte nicht dazu, dass die Lösung der komplexen Zusammenhänge und die visionäre Kraft ausreichte, die Bürgerschaft zu überzeugen, sie beim nächsten Mal wiederzuwählen.

Es bleibt notwendig den bisherigen Machthabern, aus einer letztlich kleinen und alteingessenen Elite, die nichts ändern wollte und musste, eine neue, grundlegende und an gegenwärtigen Herausforderungen orientierte demokratische Entwicklung entgegenzusetzen.
Wenn vielleicht auch nicht alles, doch wird sich diesmal etwas mehr ändern lassen…?

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