Klartext

Wohnungsmisere in Münster: Die Koalition der Hoffnung muss bauen

Unweit vom Bahnhof in Münster entsteht neuer Wohnraum - aber nicht für Geringverdiener.

Unweit vom Hauptbahnhof entsteht neuer Wohnraum – aber nicht für Geringverdiener. (Foto: Archiv)

Zu wenig, zu teuer, zu elitär! Das ist Münsters Wohnungsbaupolitik der letzten Jahre. Weder die Zielzahl von 2.000 neuen Wohnungen jährlich wurde je erreicht, noch wurden ausreichend Sozialwohnungen gebaut, die den drastischen Mietpreissteigerungen entgegenwirken. Die stark wachsende Stadt Münster mit ihrem angespannten Wohnungsmarkt kommt dadurch immer weiter unter Druck, meint unser Kolumnist Rüdiger Sagel.

Hatte der Stadtrat im Jahr 2015 noch mit 2.000 neuen Wohnungen jährlich ohnehin viel zu wenige beschlossen, um die grassierenden Wohnungsprobleme tatsächlich zu lösen, ist die jetzige Bilanz noch alarmierender. So wurden in Münster laut aktueller Statistik gerade einmal jährlich rund 1.500 Wohnungen im Durchschnitt der letzten drei Jahre gebaut. Zudem: Mehr als ein Drittel der neugebauten Wohnungen sind auch noch teure Kleinstwohnungen mit oftmals Quadratmeterpreisen von 15 bis 20 Euro, die oft genug möbliert und dann sogar noch teurer vermietet werden.

Allein um den Hauptbahnhof sollen aktuell rund 600 derartig neue Wohneinheiten in bester Lage entstehen. Zielgruppe: Arbeitsnomaden, Singles und bessergestellte Studenten. Zudem sollen die Immobilien nach Fertigstellung auch als Geldanlageobjekte für Privatinvestoren vermarktet werden. Empörend dabei ist, dass keine einzige Miniwohnung der im Stadtrat beschlossenen sozialgerechten Bodennutzung (SoBoMü) – mit einer Sozialwohnungsquote von 30 Prozent – unterliegt. Münster gehört auch damit zu den teuersten Städten Deutschlands, denn selbst die Durchschnittsmiete von 30-Quadratmeter-Wohnungen liegt laut Mietspiegel Münster mittlerweile bei 12,78 Euro.

Ausgegebene Ziele wurden so glatt verfehlt, und noch schlimmer, es wird weiterhin am Bedarf der meisten Menschen vorbeigebaut. Allenfalls die Bedürfnisse einzelner Investoren nach kurzfristiger Rendite werden weiterhin befriedigt. Denn die Mietpreise steigen laut Mietspiegel rasant weiter, allein zwischen 2017 und 2019 erneut um 4,2 Prozent. Die Folge: Normalverdiener können sich den überteuerten Wohnraum in Münster nicht mehr leisten. Selbst aus der heimischen Wirtschaft lassen sich hier mittlerweile Klagen vernehmen, dass sie zunehmend Probleme haben, ausreichend Mitarbeiter*innen zu finden.

Nachverdichtung oder neuer Stadtteil?

Letztlich stellen sich wesentliche Fragen: Kann das Wohnungsproblem allein durch die sozial und ökologisch problematische Nachverdichtung bestehender funktionierender Wohnquartiere sowie mit dem begrenzten Zubau an bestehende Stadtteile erreicht werden? Ist ein neuer Stadtteil, der – als städtebauliche Entwicklungsmaßnahme geplant – bezahlbaren Wohnraum schaffen kann und auch städtebaulich sowie ökologisch neue Standards mit Klimaneutralität bis 2030 setzt, nicht die bessere Alternative?

Die CDU-Grünen-Ratsmehrheit hat sich diesen Fragestellungen nicht gestellt, sondern ist der Wirklichkeit der Wohnungsmisere hinterhergehinkt. Auch wenn die Zahl der Wohnungsneubaugenehmigungen stieg, ist dies nicht wirklich überraschend. Denn es gab eine Arbeitsteilung, die zwischen CDU und Grünen in diesem Politikbereich fünf Jahre lang weitgehend reibungslos funktionierte. Die Grünen wollten großräumige Flächenausweisungen verhindern und wehren sich bis heute, einen neuen Stadtteil, wie ihn u. a. SPD, FDP und Linke fordern, auch nur zu thematisieren.

Der Autor: Rüdiger Sagel ist ein politisches Urgestein in Münster. Lange Jahre saß er erst für die Grünen, dann für die Linkspartei zunächst im Landtag, zuletzt im Stadtrat. Seine aktive politische Karriere hat er mit Ablauf der Legislaturperiode beendet.
Der Autor: Rüdiger Sagel ist ein politisches Urgestein in Münster. Lange Jahre saß er erst für die Grünen, dann für die Linkspartei zunächst im Landtag, zuletzt im Stadtrat. Seine aktive politische Karriere hat er mit Ablauf der Legislaturperiode beendet.

Doch haben sie durch ihre bisherige Bodenverknappungspolitik nicht gerade den Bodenspekulanten, wenn auch vielleicht teilweise ungewollt, Vorschub geleistet? Die CDU-Klientel, die sich bis in die Partei- und Fraktionsspitze mittlerweile aus dem Immobilienmakler-Milieu Münsters rekrutiert, profitierte von den hohen Miet- und Immobilienpreisen.

Perspektivisch fixierte man sich bei CDU und Grünen vor allem auf die 3.000 neuen Wohnungen, die auf den ehemaligen und seit 2013 freigezogenen Kasernenflächen der ehemaligen britischen Oxford- und York-Kasernen geschaffen werden sollen. Doch das Ziel, hier bereits 2017 die ersten 300 Wohnungen beziehen zu können, wurde durch eine miserable Verhandlungsführung der Stadtspitze um mindestens fünf Jahre verfehlt. Aber können sie die Probleme überhaupt lösen, wenn nicht gerade im Westen Münsters in Gievenbeck über eine Erweiterung zur “Universitätsstadt”, wo Wohnen und Arbeiten zusammenrückt, nachgedacht wird?

Wer baut Münster für wen?

Grüne und SPD stehen nun vor der wesentlichen Frage, wie sie aus der Wohnungsmisere herauskommen wollen. Muss dabei nicht neben der Frage ‘Wem gehört die Stadt?’ auch gefragt werden: Wer baut die Stadt und für wen? Ist unter den gegebenen markwirtschaftlichen Bedingungen eine Trendwende überhaupt möglich? Droht nicht, dass angesichts einer weiter wachsenden Stadt auch zukünftig dem Bedarf hinterhergebaut wird? Muss nicht die städtische Wohnungsbaugesellschaft personell und finanziell noch wesentlich besser aufgestellt werden? Wer wird ansonsten zukünftig ausreichend Sozialwohnungen bauen? Wer wird profitieren, wenn in Münster die Eigentumsfrage, wie in der erfolgreichen Vorzeigestadt Wien, nicht gestellt wird?

Die gesamte Hafenplanung beispielsweise bleibt angesichts von Verkehrsproblemen, Hafenmarkt und erwartbar exorbitant hohen Mieten – in Verbindung mit Gentrifizierung – höchst umstritten. Münster droht nicht nur an dieser Stelle noch viel mehr zur Stadt der Besserverdienenden zu werden, in der für andere kein Platz mehr ist. Die weitgehend nach dem Willen der Immobilienbesitzer gestalteten Pläne und deren Vermarktung, die auch an anderen Stellen in der Stadt nur unzureichend Sozialwohnungen und bezahlbaren Wohnraum vorsehen, werden so auch weiterhin Probleme für die mögliche neue Koalition hervorrufen.

Wie kann da hingegen im Hafenquartier bezahlbarer Wohnraum erhalten und geschaffen werden? Zudem in Verbindung mit einer gleichzeitig ökologischen Gestaltung, als autofreie Siedlung und mit regenerativer Energieversorgung? Bietet sich nicht nur an dieser Stelle die wirkliche Chance, eine neue, soziale und nachhaltige Wohnungspolitik zu gestalten sowie praxistauglich umzusetzen?

Können Grüne, SPD und Volt ihrem Anspruch gerecht werden?

Grüne, SPD und Volt werden den Praxistest erbringen müssen, insbesondere die Bevölkerungsgruppen mit geringem und niedrigem Einkommen besser mit bezahlbaren Wohnungen zu versorgen. Dabei sind sie weitgehend auf sich selbst gestellt. Denn mit der CDU geführten Stadtverwaltung, dem Planungsdezernenten sowie dem Oberbürgermeister, ist wohl kaum zu rechnen. Bis 2017 wurde die vorgegebene Zielzahl von jährlich 300 Sozialwohnungen immer wieder verfehlt. In 2019 wurden immerhin 325 bezugsfertig. Aufgrund des massiven Überhangs von derzeit rund 3.000 Menschen mit Wohnberechtigungsschein, die eine solche Wohnung beziehen könnten, ist die tatsächliche Zielzahl aber viel zu niedrig, denn der eigentliche Bedarf ist noch viel größer.

Hier müssen Grüne und SPD endlich massiv nachbessern, wollen sie nicht nur mehr Sozialwohnungen schaffen, sondern auch die Mietpreisspirale stoppen. Denn gab es in den 1980er Jahren noch rund 20.000 Sozialwohnungen und sank der Bestand bis 2002 auf immerhin noch 11. 897 Sozialwohnungen, so reduzierte sich dieser 2019 auf nur noch 8.365 Wohneinheiten. Somit wird auch dauerhaft ein Großteil der Berechtigten keine Wohnung erhalten und sie stehen weiterhin in Konkurrenz zu den tausenden anderen Wohnungssuchenden in Münster.

Nach dem weit verfehlten Neubauziel und dem Versagen bei der Erstellung preisgünstigen Wohnraums ist die Herausforderung groß. Wie wollen die SPD ihrem sozialen und die Grünen ihrem ökologischen Anspruch gerecht werden? Die vollmundigen Wahlversprechen der Koalitionäre stehen nun im Realitätscheck. Kann dies nur mit dem oder auch ohne den großen Wurf eines neuen Stadtteils gelingen? Kann die neue Koalition Münsters größtes Problem lösen?

Zweifel sind angebracht. Doch die Hoffnung stirbt immer zuletzt!


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  1. Ich hätte da noch einen, zugegebenermaßen etwas kontroversen, Vorschlag.
    Warum nicht versuchen das Wachstum zu bremsen? Am einfachsten könnte man einige Studienrichtungen von der Uni Münster zur z.B. Uni Bochum oder Essen verlagern.

    Das hätte folgende Vorteile:
    1. Es wird weniger Wohnraum in MS benötigt.
    2. Wohnen in Bochum oder Essen ist günstiger als in MS.
    3. Wirtschaftsförderung fürs Ruhrgebiet.
    4. Die Uni in MS könnte sich auf weniger Fächer konzentrieren.
    5. Es müssen nicht neue Flächen versiegelt werden, wenn in anderen Städten die Wohnungen zur Verfügung stehen.

    Alternativ könnte man auch Firmen MS weniger schmackhaft machen.
    – Gewerbesteuer erhöhen
    – Keine neuen Gewerbegebiete

    Amsterdam wiederum versucht die Touristen aus der Stadt zu bekommen. Mit Werbung für die umliegenden Regionen, teuren Parkplätzen, weniger Souvenirläden.

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