Redaktionsblog

Undercover-Recherche: Bis an die Grenzen des Erträglichen

Die Wiedertäufer sind für den Vor-Ort-NRW-Preis nominiert.

Die Undercover-Recherche bei der Identitären Bewegung hier in Münster war das bislang größte und aufwändigste Projekt der Wiedertäufer. Aber nicht nur das: Es war eine Arbeit, die unter die Haut ging und es immer noch tut.

Es ist Aufgabe des Journalismus, Missstände aufzudecken und Probleme zu benennen. Zumindest nach meiner Auffassung. Und es ist die Aufgabe des Journalisten, die eigene Komfortzone zu verlassen, an die eigenen Grenzen zu gehen. Ich will die Reportage zur Identitären Bewegung nicht überhöhen, ich habe nicht bei der Mafia recherchiert, aber ich bin ein persönliches Risiko eingegangen, das über die Zeit der Veröffentlichung des Artikels hinaus bestehen bleiben wird.

Ich hatte das Thema Identitäre Bewegung vor einiger Zeit anrecherchiert und gesehen, dass es einen Ableger in Münster gibt. Im vergangenen Herbst dann legte ich mir eine neue Emailadresse zu, schrieb eine Mail mit einer Interessensbekundung mitzumachen und wartete. Nach drei Wochen kam eine Antwort mit der Bitte, doch einmal meine Motivation für eine eventuelle Mitarbeit darzulegen. Meine Antwort (“Es läuft was falsch in Deutschland…” – tut es ja auch) gefiel offenbar, ich bekam einen Kontakt in der Messenger-App Threema genannt und sprach fortan direkt mit Bastian, dem Leiter der Abteilung hier im Münsterland.

Kurz vor Silvester fand das Treffen mit Lea in der Cavete statt. Nervosität, was mochte das wohl für eine sein? Ich hatte mir eine Legende zurechtgelegt. Das Prinzip: Immer möglichst nah an der Wahrheit bleiben, möglichst wenig hinzudichten. Mein Opa hat mich wesentlich beeinflusst (stimmt, aber nicht in die Richtung, die sie wahrscheinlich dachte), ich bin Unternehmensberater (halbwahr), Politik ist nur Laberei ohne Ergebnisse (stimmt nicht), ich persönlich suche ein Format, bei dem ich was bewirken kann (stimmt wiederum, ihr lest es gerade).

Bis auf ihre Weltsicht war Lea durchaus sympathisch, nach einer Stunde zahlte ich (Unternehmensberater haben Kohle!) und wurde dann zum Treffen in die Gaststätte Uppenberg geladen. In besagtem Keller war ich mit Abstand der Älteste, aber das spielte keine Rolle. Ich schmiss zum Einstand eine Runde (ebenda) und machte den ganzen Schabernack über zweieinhalb Stunden lang mit. Wieder zu Hause angekommen, ging ich erstmal duschen und beschloss für mich, die Recherche an dieser Stelle zu beenden, wie ich es zuvor auch geplant hatte. Die wesentlichen Ziele hatte ich erreicht und als Nebenprodukt sozusagen die Information über die geplante Aktion beim Heimatkongress bekommen.

Dafür habe ich Menschen bewusst getäuscht und gelogen, vielleicht sogar etwas wie Vertrauen missbraucht. Andererseits: Heiligt der Zweck die Mittel? Der Pressekodex sagt unter Punkt 4.1:

“Verdeckte Recherche ist im Einzelfall gerechtfertigt, wenn damit Informationen von besonderem öffentlichen Interesse beschafft werden, die auf andere Weise nicht zugänglich sind.”

Im vorliegenden Fall ist die Relevanz des Themas und das öffentliche Interesse meiner Ansicht nach definitiv gegeben. Die Identitäten der Mitglieder der Identitären Bewegung habe ich bewusst geschützt, denn auch sie haben darauf einen Anspruch. Einen Anspruch auf ihre Grundrechte, die ein wesentliches Element unserer Demokratie darstellen, haben aber auch alle Schutzsuchenden, die nach Deutschland kommen.