Stadtgeschichte(n)

Taubenmenschen helfen dort, wo andere Hemmungen haben

"Diese Tauben ist gegen ein Fenster geflogen und in den auf dem Fensterbrett angebrachten Spikes gelandet. Das einzige, was wir noch für sie tun konnten, war, sie so schnell wie möglich erlösen zu lassen." (Foto: Stadttauben Münster/Ricarda Peters)

“Diese Taube ist gegen ein Fenster geflogen und in den auf dem Fensterbrett angebrachten Spikes gelandet. Das einzige, was wir noch für sie tun konnten, war, sie so schnell wie möglich erlösen zu lassen.” (Foto: Stadttauben Münster/Ricarda Peters)

Ratten der Lüfte, vermeintliche Überträger von Krankheiten, Nervensägen: Tauben haben beim Menschen einen schweren Stand. In Münster setzen sich Aktivisten für die geschmähten Tiere ein, die häufig unter dem Leben in der Stadt leiden.

Alles fing vor drei Jahren an. Es klingelte, zwei Jungen aus der Nachbarschaft standen vor der Tür. Sie trugen ein Taubenküken in ihren Händen und wussten nicht, was sie mit dem kleinen Lebewesen anfangen sollten. Ihre erste Eingebung führte sie zu Ricarda Peters: „Ich musste mich selbst erstmal informieren, was in einer solchen Situation zu tun ist“, blickt sie heute zurück. Vater und Großvater hatten Brieftauben gezüchtet, aber diese Leidenschaft nicht weitergegeben.

Ricarda machte sich damals im Internet schlau, kaufte Aufzuchtsbrei und weitere Ausrüstung, schon hatte sie das Taubenfieber infiziert. Heute ist die 33-Jährige eine Taubenexpertin und aus dem, was vor drei Jahren an ihrer Haustür in Appelhülsen anfing, ist eine Leidenschaft geworden, der sie ihre gesamte Freizeit opfert.

Zusammen mit einer Handvoll Mitstreitern kümmert sich Ricarda um verletzte und kranke Stadttauben, denen ohne ihre Hilfe häufig der sichere Tod drohen würde. , der auf Facebook über seine Arbeit informiert. Zu tun gibt es jede Menge. In der Hochsaison geht täglich mindestens eine Nachricht oder ein Anruf ein von Menschen, die eine kranke, verletzte oder anderweitig hilfsbedürftige Taube gefunden haben.

Tiere mit Imageproblem
Denn: „Die Stadt ist kein guter Lebensraum für die Tiere.“ Die nicht tierschutzgerechten Vergrämungsmaßnahmen wie Spikes machen ihnen das Leben schwer, zudem sind sie den ganzen Tag auf Futtersuche und ernähren sich von dem Müll, den ihnen der Mensch hinterlässt. Wer sich einmal die Stadttauben anschaut, sieht ihnen das harte Straßenleben an. Der Verlust mehrerer, manchmal sogar aller Zehen gehören bei vielen Tieren dazu: „Ich habe neulich eine gefangen, die hatte nur noch zwei Stümpfe.“

Kürzlich erst gab es einen Vorfall in Bochum, wo 50 Tiere mit Klebepaste in Kontakt gekommen waren und aufwändig gereinigt werden mussten. In diesem Fall hatten Mitstreiter um Hilfe gebeten. „Wir sind gut vernetzt, so viele von uns gibt es ja nicht“, sagt Ricarda. Immerhin haben viele Städte ähnliche Initiativen, der Bedarf ist da.

Auch die Stadt Münster betrachtet die Situation als problemtisch, wenn auch in den letzten Jahren eine leichte Verbesserung zu erkennen sei: „Die durch Tauben verursachten Verunreinigungen stellen Münster – und generell alle Städte – vor entsprechende Probleme“, teilte die Kommune auf Anfrage mit. „Die Größe einer Taubenpopulation hängt ganz entscheidend vom Nahrungsangebot und der Anzahl der Nistplätze ab.“

Fest steht: Die Taube, einst vom Menschen domestiziert, hat laut Ricarda ein Imageproblem. „Der Mensch möchte sie nicht hier haben.“ Vieles von dem, was über die Tiere gesagt wird, stimmt dabei gar nicht. Eine erhöhte Gefahr für die Übertragung von Krankheiten konnte bislang nicht festgestellt werden. „Die ganzen Horrorgeschichten stimmen nicht.“ Die Taube unterscheidet sich hier nicht von anderen Tieren. Deswegen die Bitte der Taubenmenschen: Wer einen verletzten Vogel findet, soll keine Scheu haben und ihn notfalls in einen Schal oder eine Jacke wickeln und mitnehmen.

Unglaublich viel Arbeit“
„Ich bekomme für die Arbeit fast nur positives Feedback“, erzählt die Aktivistin. „Neulich hat mir eine Frau geschrieben, dass sie Tauben jetzt mit anderen Augen sieht. Das hat mich ganz besonders gefreut, denn es zeigt, dass wir etwas bewegen.“ Und hier gibt es noch viel zu tun. Immer wieder haben die Tierschützer Erlebnisse, die nachdenklich stimmen. Kürzlich hatte sich in Gievenbeck eine verletzte, aber noch flugfähige Taube auf einen Balkon im ersten Geschoss eines Hauses gerettet. Der Mieter der dazugehörigen Wohnung aber verweigerte den Zutritt und zeigte auch darüber hinaus keine Hilfsbereitschaft. Letztlich rückten Polizei und Feuerwehr an und retteten das Tier über eine Feuerleiter.

Die kleine, unrühmliche Episode zeigt, mit welchen Problemen und Hindernissen die Taubenmenschen – wie sie sich selbst nennen – zu kämpfen haben. „Das ist unglaublich viel Arbeit“, berichtet Ricarda. Die Fahrten zu den Tierärzten oder zu den gemeldeten Fundstellen, wo die Tiere dann häufig nicht mehr aufzufinden sind. Das Päppeln von herrenlosen Küken, die ganze Organisation, der Kauf von Futter aus eigener Tasche.

Nicht zuletzt stellt sich die Frage, was mit den Tauben nach ihrer Genesung passiert. Für Manche muss eine neue Bleibe gefunden werden, denn nicht alle können ausgewildert werden. Aufgezogene Küken beispielsweise würden in der freien Natur oder dem feindlichen Lebesraum Stadt verhungern, da sie das Leben in Freiheit nicht kennen.

Tauben als Einwegprodukt
Ricarda selbst hat sich zu Hause in Appelhülsen eine kleine Krankenstation aufgebaut. In der alten, 120 Quadratmeter großen Voliere des Vaters ihres Lebensgefährten hält sie selbst rund 70 Tauben. „Das ist meine Handicap-Station für Vögel, die ich nicht mehr nach draußen lassen kann.“ Und auch deren Hinterlassenschaften wollen beseitigt werden. „Abends fernsehen ist da nicht mehr drin“, sagt sie. Immerhin: Ihr Lebensgefährte unterstützt sie bei ihrer Arbeit, die sie zusätzlich zum Lehramts-Studium Deutsch und Latein macht.

Wenn es im nächsten Jahr ins Referendariat geht, wird Ricarda nicht mehr so viel Zeit für ihr Hobby haben. „Wir suchen ohnehin noch händeringend Mitstreiter, die dauerhaft dabei bleiben“, erzählt sie. Mittelfristig ist sogar die Gründung eines Vereins angedacht. „Wir möchten noch viel mehr machen, vor allem in der Aufklärungsarbeit.“

Am Ende des Tages handelt es sich bei der Arbeit der Taubenmenschen aber nur um Nothilfe. Ricarda fordert eine nachhaltige Lösung und sieht hier auch die Stadt in der Pflicht: „Die tut gar nichts.“ Einen betreuten Taubenschlag wie beim Augsburger Modell, das beispielsweise auch in Hamm genutzt wird, hält sie für eine gute Lösung. Hier werden die Tiere gefüttert, machen ihre Hinterlassenschaften nicht auf Gebäuden, belästigen die Menschen nicht und zudem werden die Eier gegen Attrappen getauscht. Stadttauben brüten bis zu siebenmal im Jahr jeweils zwei Eier – ein Verhalten, dass ihnen der Mensch angezüchtet hat.

Doch das ist nicht der einzige Teil des Problems. Pro Jahr nehmen Ricarda und ihre Mitstreiter rund 30 Brieftauben in ihre Obhut. Häufig haben sich die pflichtmäßig beringten Tiere verirrt. Doch die Züchter haben – dezent formuliert – häufig kein Interesse an einer Rücknahme. Auch billige Hochzeitstauben, wie sie günstig bei Ebay zu kaufen sind, kommen immer wieder zu den Aktivisten: „Das sind häufig Einwegprodukte, die nach der Hochzeit einfach zurückbleiben oder nicht mehr nach Hause finden.“