Münster

Stadtführungen in Münster auf der Kippe

Klaus Woestmann ist bei Stadtführungen als Nachtwächter im Einsatz.

Klaus Woestmann ist bei Stadtführungen als Nachtwächter im Einsatz. (Foto: k3 stadtführungen Münster)

Mit der Dämmerung kommt in Münster die Zeit des Nachtwächters. Ausgestattet mit Hellebarde, Horn und Laterne führt er uns ins Münster des 16. Jahrhunderts, als er die Stadtbewohner vor Feuern, Feinden und Dieben warnte. Nun ist seine Zunft bedroht.

Eigentlich hätte Klaus Woestmann heute bereits eine normale Stadt- und eine zweistündige Tatortführung hinter sich. Ab 21.00 Uhr stünde er vor dem Rathaus, den breitkrempigen Filzhut tief ins Gesicht gezogen. Seit zwölf Jahren ist er jeden Freitag und Samstag als Nachtwächter “Johann Bockholt” unterwegs. Ob es regnet oder die Glocken läuten, ausgefallen ist seine Führung noch nie. Woestmann liebt, was er tut. 

Trotzdem sah er sich im letzten Jahr dazu genötigt, sich nach beruflichen Alternativen umzusehen. “Die Stadtführer am Scheideweg”, titelten die Westfälischen Nachrichten damals. “Das hörte sich ganz schön dramatisch an”, sagt Woestmann. Er bewarb sich kurzerhand als Stadtplaner bei der Stadt Münster. “Schließlich habe ich das mal studiert”, erklärt er. Als die Absage im Briefkasten liegt, fällt ihm ein Stein vom Herzen: “Ab acht Uhr im Büro sitzen?” Woestmann winkt ab. Das sei nichts für ihn.

Neue Stadtführer gesucht

Seit sieben Monaten hat Woestmann keine einzige Führung mehr gemacht. Als Soloselbstständiger darf er auf Corona- und Neustarthilfen von Bund und Land bauen. “Da geht es den Studenten unter uns wesentlich schlechter”, sagt er. Und Woestmann fällt noch eine weitere Aufgabe zu: Er darf neue Kollegen bei seinem Auftraggeber k3 stadtführungen in die Kunst der Stadtführungen einweisen. Eine Aufgabe, die er in Zukunft wohl häufiger übernehmen wird, denn neue Kollegen werden gesucht. 

Lars Köllner ist Geschäftsführer von k3 stadtführungen. Lange war unklar, wann er wieder Einnahmen generieren kann. Die Planungsunsicherheiten hätten einige Mitarbeiter dazu bewegt, sich umzuorientieren: “Die haben gekündigt und sind in die Softwarebranche gewechselt.”

Auch die Rückabwicklungen der Ticketbuchungen führten das Unternehmen an seine Grenzen. Pro Jahr bietet Köllner 5000 Veranstaltungen à 20 Personen an. “Das Telefon stand nicht mehr still und unser Postfach quoll über”, erzählt er. Um die anstehende Arbeit erledigen zu können, musste Köllner die Mitarbeiter teilweise aus der Kurzarbeit holen und natürlich auch bezahlen. Wiederholt spukte es ihm durch den Kopf: “Weitermachen oder nicht?”

Antrag auf Fördermittel abgelehnt

Zusammen mit den anderen drei großen Stadtführerunternehmen StattReisen, Stadt-Lupe und Münsterbus hat er sich im vergangenen Jahr an die Stadt gewandt und um Hilfe gebeten. Damals war noch nicht klar, ob auch Mittel von Bund und Land fließen würden. Also machte die Stadt 144.000 Euro locker, die die vier Unternehmen unter sich aufteilten. Damit sollte der Notbetrieb gewährleistet werden. Doch obwohl die Mittel aus Bund und Land schließlich bewilligt wurden, hielt die kommunale Finanzspritze nicht lange vor. Einen erneuten Antrag auf Fördermittel lehnte die Politik vor kurzem ab. 

Die Entscheidung sei schwer gefallen, sagt Petra Panske, Bereichsleiterin Touristik und Kongressmarketing. Wenn die großen Stadtführer eine weitere Förderung erhalten hätten, könnten sich andere fragen: “Warum kriegen die Geld und wir nicht?” Mit den anderen sind die Unternehmen gemeint, die ebenfalls im touristischen Bereich tätig sind, wie das Canu Camp Münster. Auch die hätten sich an die Stadt gewandt, sagt Ratsherr Philipp Hagemann (SPD), Vorsitzender des Betriebsausschusses Münster Marketing. Insgesamt seien fast 20 solcher Unternehmen von der kommunalen Förderung nicht bedacht worden. Das habe zu Unmut geführt. Die Stadtführungsunternehmen der Innenstadt seien dagegen doppelt gefördert worden, argumentiert Hagemann. 

Lars Köllner hat Verständnis für die Entscheidung und bleibt optimistisch. Er konnte sein Unternehmen durch private Ersparnisse über Wasser halten. “Die Vereine haben es da schwerer”, sagt er. StattReisen sind so ein Verein. Der Geschäftsführer Thomas Holz möchte sich zu der aktuellen Situation jedoch nicht äußern. “Die Mitglieder des Vereins müssten hohe Summen aufbringen, da ist glaube ich keiner bereit zu”, mutmaßt Köllner.

Undurchsichtige Öffnungsstrategie

Was der k3-Chef nicht verstehen kann: Während Außengastronomie, Kultureinrichtungen und Museen öffnen durften, waren Stadtführungen trotz der niedrigen Inzidenz weiterhin nicht erlaubt. Laut der Corona-Schutzverordnung des Landes NRW waren Kulturveranstaltungen unter freiem Himmel allerdings bereits im Mai möglich. “Man hätte uns dazuzählen müssen”, beanstandet Köllner. Für die Umsetzung der Gesetzesverordnung des Landes ist das Ordnungsamt zuständig, aber die haben die Wiederaufnahme des Betriebs erst mit der neuen Corona-Schutzverordnung ermöglicht. Anscheinend wollte man dort auf Nummer sicher gehen, denn in dem aktuell 30-seitigen Schreiben werden Stadtführungen erstmals ausdrücklich erwähnt. 

“Es war ein langer Kampf”, sagt Köllner. Seit heute ist die neue Corona-Schutzverordnung gültig. Stadtführungen sind nun auch in Münster wieder möglich und aufgrund der niedrigen Inzidenz sogar ohne Einschränkungen. Für Köllner und seine Mitstreiter heißt es nun: Saisonplanung im Schnelldurchlauf. Veranstaltungen müssen wieder ans Laufen gebracht und Absprachen mit Restaurants und Brauereien getroffen werden. Bis zum normalen Betrieb kann es allerdings noch etwas dauern, denn viele Besucher buchen die Tickets bereits Monate im Voraus. 

Klaus Woestmann steht jedenfalls schon in den Startlöchern. Er hat heute seine erste Stadtführung und am nächsten Wochenende kann man ihn wieder ab 21.00 Uhr vor dem Rathaus finden – als Johann Bockholt, in neuem Kostüm und mit polierter Hellebarde.


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