Münster

Tabuthema Abtreibung: Immer weniger Ärzt*innen in Münster führen Schwangerschaftsabbrüche durch

Protest gegen Schwangerschaftsabbrüche: Jedes Jahr gibt es in Münster einen "Marsch für das Leben" wie auf dieser Aufnahme aus dem Jahr 2014.

Protest gegen Schwangerschaftsabbrüche: Jedes Jahr gibt es in Münster einen “Marsch für das Leben” wie auf dieser Aufnahme aus dem Jahr 2014.

Bundesweit nimmt die Zahl der Mediziner*innen ab, die noch bereit sind, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen – auch in Münster. Einerseits setzen aggressive Abtreibungsgegner*innen Betroffene und Ärzt*innen unter Druck, andererseits wird der Zugang zu Informationen durch die aktuelle Gesetzeslage kriminalisiert. 

Wer in Münster eine Abtreibung durchführen lassen möchte, steht zunächst vor einer unsichtbaren Wand. Allein eine Einrichtung zu finden, die solche Eingriffe durchführt, ist schon eine Herausforderung. Zwar führt die Bundesärztekammer eine entsprechende Liste. Doch die Aufnahme in die Liste ist freiwillig und für Münster gibt es nur ein Ergebnis.

Dabei gibt es hier und in der Umgebung noch drei Praxen, die – unter Einhaltung der Beratungsregel – medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche bis zum Ende der neunten Woche durchführen. Auf der Liste stehen sie nicht. “Aus gutem Grund”, sagt einer der Gynäkolog*innen, der anonym bleiben möchte. Gerade im konservativ-katholisch geprägten Münster müsse man Acht geben, dass die eigene Praxis keinen schlechten Ruf bekomme.

Widerständler in Münster

Alles, was er uns erzähle, sei illegal, denn nach § 219a des Strafgesetzbuchs dürfe er keine Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen weitergeben. Aus diesem Grund wurde der Mediziner erst kürzlich wegen seiner Website verklagt und rechnet mit einer Geldstrafe. “Ich habe mich bewusst für die öffentliche Aufklärung entschieden”, betont er, “weil ich will, dass das mal nicht mehr verboten ist.”

Gelegentlich erreichen den Arzt Briefe von Abtreibungsgegner*innen, in denen er als “Babymörder” bezeichnet wird. Am Telefon wirkt er müde, aber abgeklärt. Den gesetzlichen Rahmen für Abtreibungen befürwortet er sogar teilweise. Zumindest die verpflichtende Beratung sowie die dreitägige Wartezeit. Aber die Kriminalisierung der Informationsweitergabe, die nach § 219a als “Werbung” deklariert wird, verurteilt der Gynäkologe scharf. “Ich will nicht werben, ich will informieren.”

Die geltende Gesetzeslage ist eng gefasst: Nur unter bestimmten Auflagen sieht der §218 eine Straffreiheit für einen Schwangerschaftsabbruch auf Grundlage der sogenannten Beratungsregel vor. Dazu gehört, dass die Betroffenen eine mindestens drei Tage zurückliegende Schwangerschaftskonfliktberatung nach § 219 nachweisen, dass ein Arzt oder eine Ärztin den Abbruch durchführt und dass seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind. Der umstrittene und bereits angefochtene § 219a stellt auch die öffentliche Information über Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe. 

Versorgungsengpass

Laut einer Berechnung des statistischen Bundesamtes für das Fernsehmagazin Kontraste ist die Zahl der Praxen und Kliniken, in denen schwangere Personen eine Abtreibung vornehmen lassen können, innerhalb von 15 Jahren um 40 Prozent zurückgegangen: Boten 2003 noch rund 2.000 Stellen die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen an, waren es 2018 nur noch 1.200 Stellen.

Das hat ganz konkrete Auswirkungen für die Patient*innen. Eine längere und umständlichere Suche nach einer entsprechenden Einrichtung ist nur eine davon. Wenn sie etwa nach der neunten Woche zu dem Münsteraner Gynäkologen kommen, ist es für den medikamentösen Abbruch zu spät.

Dann bleibt dem Mediziner nur noch eine Möglichkeit: Die Betroffenen zu einem Kollegen zu schicken, der eigentlich gar nicht mehr praktiziert. Der Arzt selbst will lieber nicht über seine Tätigkeit sprechen und erst recht nicht namentlich genannt werden. Er ist über 80 Jahre alt und seit geraumer Zeit in Rente. Operative Abtreibungen führt er trotzdem durch. “Ich kann die Frauen ja nicht im Stich lassen”, sagt er.

Eine andere Möglichkeit für Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregel gibt es nicht in Münster. Ein Versorgungsproblem ergibt sich auch dadurch, dass in Münster – mit Ausnahme des Universitätsklinikums – alle Krankenhäuser konfessionell gebunden sind. Doch auch das UKM führt Schwangerschaftsabbrüche nur in Ausnahmefällen durch. Die sogenannten Spätabtreibungen ab der 14. Woche erfolgen nur bei einer schweren Fehlbildung des Kindes oder, wenn das Leben der gebärenden Person in Gefahr ist. “Solche Abbrüche, die auch für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine nicht zu unterschätzende psychische Belastung sind, sind bei uns im Haus kein Automatismus”, sagt Pressesprecherin Marion Zahr. 

Beratung für Betroffene

Eine der externen Beratungsstellen, die Betroffene aufsuchen können, ist pro familia. Monika Karwisch arbeitet dort als Schwangerschaftsberaterin. In regelmäßigen Abständen kommt auch sie mit Abtreibungsgegner*innen in Kontakt: Einmal im Monat stehen ältere Männer mit Schildern und Marienikonen in der Nähe der Beratungsstelle. Karwisch betrachtet die aktuellen Entwicklungen mit Sorge: “Frauen bringen ihr Leben und ihre Gesundheit in Gefahr, wenn sie keinen Zugang zu legalen Schwangerschaftsabbrüchen haben.”

Dabei ist § 13 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes eindeutig: “Die Länder stellen ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicher”, heißt es dort. Doch die Praxis sieht anders aus. “Wenn immer weniger Ärzt*innen bereit sind, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen, dann wird es für die Frauen schwierig, die legalen Möglichkeiten umzusetzen”, sagt Karwisch. 

Sie plädiert für ein Umdenken und eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Dazu gehöre auch die richtige Verortung des Gesetzes. “Das Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch gehört in den Gesundheitsbereich und nicht ins Strafgesetzbuch,” argumentiert sie.

Kampf für Selbstbestimmung

Auch das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung kämpft für den uneingeschränkten Zugang zu einem legalen Schwangerschaftsabbruch sowie für die Streichung der Paragraphen 218 und 219 aus dem Strafgesetzbuch. Eine, die sich für das Bündnis engagiert, ist Dr. Christine Schmidt. Ein Beratungsangebot befürwortet sie.

Doch die gesetzlich festgeschriebene Beratung verfolgt ein problematisches Ziel: “Die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen”, heißt es in einer Ausführung zum Schwangerschaftskonfliktgesetz. “Wenn es darum geht, wo und wie eine Abtreibung vollzogen werden kann, hilft dir niemand”, sagt Schmidt. 

Seit 2017 organisiert das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung die  Gegendemonstration zum bundesweit stattfindenden “Marsch für das Leben” (vormals “1000-Kreuze-Marsch”). Jedes Jahr laufen die sogenannten “Lebensschützer*innen” mit weißen Kreuzen durch die Münsteraner Innenstadt: Sie protestieren gegen das geltende Abtreibungsrecht und postulieren ein rückwärtsgewandtes Weltbild. Ihre Forderung: Das Verbot von Abtreibungen und die Bestrafung von ausführenden Ärzt*innen und Betroffenen. Unterstützung erfahren sie dabei auch aus dem medizinischen Lager.

Der Verein “Ärzte für das Leben” etwa erklärt auf seiner Homepage : “Wir werden entschieden Widerstand leisten gegen alle verfassungs- und berufsordnungswidrigen ‘Gesetze’, die das Recht auf Leben sowie die Menschenwürde verletzen und den Arzt zum Gesundheits- und Tötungsfunktionär degradieren.” Vorsitzender des Vereins: Der Münsteraner Prof. Dr. Paul Cullen, ebenso Leiter des MVZ Labors und Mitglied im Vorstand des “Bundesverband Lebensrecht”. Mit dem “Marsch für das Leben” in Berlin organisieren sie den jährlich größten Aufmarsch der “Lebensschützer*innen” in Deutschland.

“Die Sorge vor Protest und Stigmatisierung führt dazu, dass sich nur noch so wenige Ärzte bereit erklären, überhaupt Schwangerschaftsabbrüche zu vollziehen”, ist sich Christine Schmidt sicher. Am Ende werden deswegen viele Frauen mit ihren Problemen allein gelassen.


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  1. Ihr Artikel wird die Vermutung geäußert, es sei die Sorge vor Protest und Stigmatisierung, Ärzte davon abhalte Abtreibungen durchzuführen. Ist es nicht auch denkbar, dass sich Ärztinnen und Ärzte an ihren hypokratischen Eid erinnern und Ihrem Gewissen folgen, wenn sie die Tötung ungeborenen Lebens nicht selbst durchführen wollen? Lebensschutz ist teil der Berufsordnung der Ärzte. Gelegentlich gewinnt man hingegen den Eindruck, dass das klare Einstehen für das Leben zu Widerspruch und Ausgrenzung führt.

  2. Hallo Herr Gillessen, bezugnehmend auf Ihren letzten Satz: Wer ist “man” und was meinen Sie mit dem “Eindruck” konkret? Nach meinem Empfinden geht es in diesem Beitrag nicht darum, die Motive von Ärzt:innen zu verorten – oder nur am Rande – sondern die Situation darzustellen, die in erster Linie für die Frauen enorm schwierig ist, in einer ohnehin schon schlimmen Lage. Ich finde, die pro familia-Mitarbeiterin bringt es auf den Punkt: dass das Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch in den Gesundheitsbereich gehöre, nicht ins Strafgesetzbuch.

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