Klartext

Platanen am Hansaring: Nur Symptom, nicht Ursache

Den Platanen am Hansaring droht die Kettensäge.

Kaum ein Thema hat die Gemüter der Stadtgesellschaft in den letzten Monaten so erhitzt wie die Platanen am Hansaring. Sie sollen für eine Ausweichstraße weichen, die im Zuge der Neuverlegung von Fernwärmeleitungen an dem neuralgischen Punkt benötigt wird. Doch die aktuelle Diskussion packt das eigentliche Problem nicht an den Wurzeln, kommentiert unser Autor. Das nämlich liege viel tiefer.

Mittwochabend war Showtime bei den Stadtwerken. Der Gong erklang und die Protagonisten auf der Bühne lieferten über eineinhalb Stunden Abwehrkampf. Stadtrat Wolfgang Heuer, Stadtwerke-Chef Dirk Wernicke, der Ordnungsamts-Abgesandte Norbert Vechtel und Gottfried Wingler-Scholz von der Feuerwehr kamen bei der Infoveranstaltung sichtbar ins Schwitzen angesichts der Punchlines, die ihnen ihre Gegenüber reinreichten.

Dass der Abend nicht vergnügenssteuerpflichtig werden würde für die Herren, hatte sich bereits im Vorfeld abgezeichnet (wo war eigentlich Super-OB Lewe?). Am Samstag verhinderten Demonstranten die Fällung der beiden Platanen am Hansaring – ein Thema, das der Verwaltung und den Stadtwerken recht unvermittelt auf die Füße gefallen ist, nachdem eine Infoveranstaltung zum Thema im letzten Jahr geräuschlos und mit geringer Resonanz durchgezogen worden war. Dieses Mal aber wird es nicht so einfach, denn es hat sich eine Menge aufgestaut am Hansaviertel.

Aber der Reihe nach. Viele im Hansaviertel hatten von der Infoveranstaltung wohl nichts mitbekommen. 700 Postwurfsendungen sind nach Angaben von Wernicke verteilt worden und offenbar vielfach postwendend im Altpapier gelandet. Resultat: In der letzten Woche entnahmen einige zum ersten Mal überhaupt der Lokalzeitung, dass die alten Platanen am vergangenen Wochenende abgeholzt werden sollten. Und das ist nicht so gut angekommen in der Bürgerschaft – zumindest bei Teilen der 70 Anwesenden am Mittwoch und den 2.000 Menschen, die mittels Mausklick ihren Mittelfinger wahlweise Richtung Rathaus oder Hafenplatz gezeigt haben. Andererseits: Sollen die Stadtwerke beim nächsten Mal per Einschreiben informieren?

Weiterhin gesperrt: die Theodor-Scheiwe-Straße.
Weiterhin gesperrt: die Theodor-Scheiwe-Straße.

Am Mittwoch jedenfalls wurde intensiv durchdekliniert, warum der Verkehr weiterhin zweispurig geführt werden und die Platanen aus Sicht von Stadtwerken und Verwaltung weichen müssen. Neben dem Argument Verkehrsfluss ist vor allem die Passierbarkeit des Hansarings für die Rettungskräfte das zentrale Argument, denn diese sind – vom Albersloher Weg kommend – auf die Passage als zentralen Zubringer für die jeweiligen Einsatzorte angewiesen. Eine denkbare Alternative könnte die Theodor-Scheiwe-Straße sein, die aber bekanntermaßen gesperrt ist und wo die Stadt sich zuletzt sogar genötigt sah, mit Enteignung zu drohen. Die Stadt will jetzt erstmal prüfen und so lange, darauf ließ Heuer sich am Ende doch noch festnageln, werden die Platanen am Hansaring stehen bleiben.

Aber ist es damit getan? Die Stadt will unschöne Szenen vermeiden mit Polizisten, die die Protestierenden unter Anwendung von Zwang von den Bäumen losreißen. Ein zweites Stuttgart 21 im Miniaturformat soll verhindert werden – ähnlich wie im Schwabenland stellt sich auch in Westfalen eine viel grundsätzlichere Frage: “Es gibt hier ein Grundstzproblem”, warf ein Bürger irgendwann im Verlauf der Diskussion ein. “Wir sind ihre Dienstherren, wir vertreten unsere Interessen.” Linkspartei-Ratsherr Heiko Wischnewski sekundierte: “Die Frage ist doch: Wem gehört die Stadt?”

Das eigentliche Problem ist ein größeres
Und im Hansaviertel haben viele Menschen augenscheinlich den Eindruck, dass sie nicht ihnen gehört. Sondern den Stroetmanns, Deilmanns, Kresings und Kuhrs dieser Welt, die – offenkundig bestens mit den Stadtoberen verdrahtet und mit tiefen Taschen ausgestattet – weitgehend schalten und walten können, wie es ihnen beliebt. Vom Hafencenter bis zum Neuhafen wird ein beträchtlicher Teil des Hansaviertels umgekrempelt, neu hochgezogen, fast nichts erhalten.Und die Gentrifizierung ist allerortens sichtbar.

Das Viertel wird an dieser Stelle einen Teil seiner Identität einbüßen. Die Menschen, die am Mittwochabend bei den Stadtwerken waren oder die bei der Eiseskälte Wache halten an den Bäumen, haben feine Antennen für so etwas. Wenn innerhalb weniger Wochen einige Großbauprojekte durchgepeitscht werden, dann reichen zwei Platanen am Hansaring aus, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Jetzt ist die Stadt gefordert, da wieder den Deckel draufzubekommen – und sich für die Zukunft zu überlegen, wie sie die Menschen besser mitnehmen kann bei solchen Veränderungsprozessen.