Klartext

Missbrauchsvorwürfe in Münster: Bedenkliche Berichterstattung

Symbolbild Lokaljournalismus: ein Stapel Zeitungen. Berichterstattung Missbrauchsvorwürfe in Münster.

Symbolbild: ein Stapel Zeitungen.

Die schrecklichen Fälle von mutmaßlichem Kindesmissbrauch sind derzeit in Münster Stadtgespräch. Auch die Presse thematisiert die Vorwürfe – selbstverständlich. Doch “Antenne Münster”, der Aschendorff-Ableger “msl24.de” und die “Bild” haben in ihrer Berichterstattung eines vergessen: den Schutz der Opfer. Ein Kommentar.

Die Vorwürfe sind erheblich: Der 38-jährige Münsteraner soll in den vergangenen Jahren mehrere Kinder sexuell missbraucht haben. Nach ist der in Untersuchungshaft befindliche Sozialarbeiter inzwischen geständig und hat die teils Jahre zurückliegenden Taten eingeräumt. Aufgrund seiner Angaben wurden zwei weitere Männer verhaftet.

Es sind schreckliche Dinge geschehen, so viel steht bereits jetzt fest. Eine gründliche juristische Aufarbeitung wird folgen und diese wird auch medial begleitet werden. Die Medien sind an dieser Stelle besonders gefordert, den Spagat zwischen dem zweifelsohne vorhandenen, öffentlichen Informationsinteresse und dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der minderjährigen Opfer und – das mag für manche schwer verständlich sein – des mutmaßlichen Täters. Dieser Spagat ist nicht gelungen.

Die “Bild” hat es gar nicht erst versucht und ein unverpixeltes Foto des Beschuldigten veröffentlicht. Das Boulevardblatt war es auch, das mit Details zu dem inhaftierten 38-Jährigen aufwartete: Neben seinem abgekürzten Namen berichtete die Zeitung von einem Intermezzo als Teil einer deutschlandweit bekannten Band. “Antenne Münster” und “msl24.de” zogen die Geschichte nach.

Verstoß gegen Pressekodex?

Das Problem an der Sache: Zwar nennt kein Medium den vollen Namen des Beschuldigten, doch die nun vorgenommene Verknüpfung der persönlichen Informationen mit der kurzen, mehrere Jahre zurückliegenden Show-Karriere ermöglicht eine einfache Google-Recherche. Hierzu heißt es im Pressekodex unter Ziffer 8:

“(…) bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung. Soweit eine Anonymisierung geboten ist, muss sie wirksam sein.”

Verstöße mögen wir von der “Bild” gewohnt sein. Bei der teilstaatlichen Radiostation und dem konservativen Verlagshaus sollte man ein anderes Vorgehen erwarten können.

Die Opfer müssen geschützt werden

Bitte nicht falsch verstehen: Es geht hier letztlich nicht um den zugegeben diskutablen Verstoß gegen den Pressekodex. Oder die Persönlichkeitsrechte des – in bestimmten Kreisen – in der Stadt bekannten, mutmaßlichen Täters, dem eines Tages auch ein Recht auf Resozialisierung zustehen wird. Von seinem familiären Umfeld oder seiner persönlichen Sicherheit in Haft ganz zu schweigen.

Es geht auch darum, dass die Identifikation des Täters möglicherweise Rückschlüsse auf seine Opfer zulässt. Möglicherweise ist bekannt, wer wann mit wem – in welchem Kontext auch immer – Kontakt hatte. Diese Betroffenen gilt es zu schützen. Sie sollen ihr Martyrium nicht noch einmal durchleben müssen, beispielsweise durch eine Identifikation in ihrem sozialen Umfeld. Diese Gefahr aber wird erhöht, wenn Medien ihrer Verantwortung gerade bei dieser äußerst sensiblen Thematik nicht oder nicht ausreichend nachkommen.

Anm. des Autors: Wir haben uns auch aus den angeführten Gründen gegen eine Berichterstattung zu dem Fall entschieden. Der mutmaßliche Täter ist aus einem früheren Zusammenhang, der bereits 15 Jahre zurückliegt, flüchtig bekannt.  


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  1. der Artikel ist argumentativ genau richtig zu dem Thema, aber ich fürchte, er wird die Verantwortlichen entweder nicht erreichen oder nicht wirklich tangieren. Sensationsnachrichten, auch vermeintliche, lassen sich einfach wesentlich besser verkaufen. Ob dabei berechtigte Interessen anderer Personen mit verkauft werden, ist sekundär.

  2. Völlig korrekt, aber: Vielleicht sollte man zumindest mal am Rande erwähnen, dass ein signifikanter Anteil der Lokaljournalisten in Münster „befangen“ sein dürfte bei diesem Thema, denn der geständige Tatverdächtige war mehrere Jahre lang freiberuflich für einen Zeitungsverlag in Münster tätig (als Videomitarbeiter). Unabhängige Berichterstattung dürfte da schwierig werden. Lieber sollten Externe darüber berichten. Münster ist eben ein Dorf, jeder kennt jeden, gerade in der Medienbeanche.

  3. Vielen Dank für diesen sachlichen Artikel, sprachlich und gedanklich ein Gegengewicht zur Berichterstattung in den “Mainstream”-Medien. Ergänzung: Es geht tatsächlich auch um den Schutz der Persönlichkeitsrechte mutmaßlicher Täter. Letztere haben bis zu ihrer rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig zu gelten. Und sie haben nach eventueller Verbüßung ihrer Haftstrafe – wie im Artikel erwähnt – ein Recht auf Resozialisierung.

    Es gehört im öffentlichen Diskurs nicht zum guten Ton, das Leid pädokrimineller Täter zu thematisieren. Da wird sofort Verhöhnung der Opfer und das Ignorieren ihres lebenslangen Leides unterstellt. In diese Abscheu-Bekundungen von Nichtbetroffenen (von Leuten, die weder Opfer noch Angehörige auch nur entfernt kennen) spielt irgendetwas Sachfremdes hinein: das Bedürfnis, einen Aggressionsüberschuß loszuwerden, ungestraft Haß artikulieren zu können, was sonst verpönt ist, vielleicht auch Angst vor der eigenen psychischen Instabilität, die sich in Gewaltphantasien gegenüber dem Täter niederschlägt. Das zu durchleuchten, wäre mal einen eigenen Artikel wert.

    Gegen diese emotionalen Reaktionen ist sachlich festzuhalten: Auch der Pädosexuelle leidet unter seiner Veranlagung, für die er nichts kann. Sie deformiert ihn, seine Wahrnehmung und seine sexuellen Phantasien ein Leben lang. Schuldig ist der Pädophile nicht wegen seiner Veranlagung. Pädokriminell wird er mit dem ersten Versuch, seine Veranlagung auszuleben (was mit dem Empfang/der Weitergabe von Bilddateien beginnt). Auch hier wäre mal sowas wie Mitleid mit Leuten angebracht, die niemals zu Tätern werden oder nie wieder Täter sein wollen: Es bedeutet den radikalen Verzicht auf das Ausleben der eigenen Sexualität. Das sollte sich mal jeder vor Augen führen, der das Glück hat, qua Veranlagung auf Erwachsene als Sexualpartner fixiert zu sein.

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