Klartext

Klimakrise – nicht mehr woanders!

Der Autor: Rüdiger Sagel ist ein politisches Urgestein in Münster. Lange Jahre saß er erst für die Grünen, dann für die Linkspartei zunächst im Landtag, zuletzt im Stadtrat. Seine aktive politische Karriere hat er mit Ablauf der Legislaturperiode beendet.
Der Jahrestag jährte sich erst kürzlich zum 7. Mal. Am 28. Juli 2014 traf eine Starkregen-Katastrophe Münster und die Stadt erlebte wochenlange chaotische Zustände. Doch noch immer spricht die Stadt auf ihrer Homepage von der Katastrophe als “Ausnahme-Unwetter` und will nicht anerkennen, dass davon längst keine Rede mehr sein kann. (Stadt Münster: Bilanz zum Jahrestag des Ausnahme-Unwetters) Die Auswirkungen der Klimakrise sind nicht mehr nur in anderen Ländern erlebbar, sondern gehören jetzt auch zur sich immer wiederholenden Realität in Deutschland.
Vor einem Jahr wurde erneut davor gewarnt, was Münster schon 2014 erlebt hat. Im Juni 2020 hat das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe eine 400-seitige Broschüre herausgegeben. Der Titel: `Die unterschätzten Risiken Starkregen und Sturzfluten`. Die beiden Phänomene seien `trotz ihres immensen Gefahrenpotenzials keine Themen, die in der Öffentlichkeit weit verbreitet sind`. In Münster war das Potential enorm: 292 Liter Regen pro Quadratmeter in nur sieben Stunden und 40 Millionen Kubikmeter auf die ganze Stadt. Der Himmel öffnete seine Schleusen in nie gekanntem Ausmaß. Was Münster geschah hat sich nun wiederholt: Deutschland ist mittlerweile ein Hotspot.Die Bilder der Flutkatastrophen in NRW, Bayern und Rheinland-Pfalz haben deshalb mit zwei Unwahrheiten aufgeräumt, die immer noch dafür sorgten die Klimakrise zu ignorieren oder, wie in Münster von der Stadt, als Ausnahme klein zu reden. Die erste: Die Klimakrise ist woanders. Die zweite: Diese Krise kommt langsam. Tatsächlich wütet sie schon seit Jahren, in vielen Ländern fallen ihr bereits Menschen zum Opfer. Besonders betroffen ist die Bevölkerung ärmerer Nationen, weil diese Staaten nicht genug schützende Maßnahmen ergreifen können. Nun sind Hitze, Dürre, Fluten auch in Deutschland angekommen: Keine Region bleibt verschont, heißt es in der Risikoanalyse des Bundes. An den Küsten wird es wohl nicht ganz so warm wie woanders, dafür kommt der Starkregen öfter. Die trockenste Region des Landes, der Osten, wird noch trockener. Die wärmste Region, entlang des Rheins, wird noch heißer. Und in einem breiten Streifen vom Bodensee bis nach Sachsen, quasi im ganzen Süden Deutschlands, werden die Temperaturen am stärksten steigen. So ungefähr steht das auch in der jüngsten `Klimawirkungs- und Risikoanalyse`, des Bundesumweltministeriums. Die Klimarisiken nehmen zu, es gibt einen fortschreitenden Temperaturanstieg in Deutschland. Nach Daten des Deutschen Wetterdienstes übersteigt die Temperatur bisher schon um 1,6 Grad Celsius die von 1881. Die Konsequenz des Ministeriums: Mehr Renaturierung, anders bauen, Städte müssten in der Lage sein, große Regenmengen wie ein Schwamm aufzusaugen, gleichzeitig aber bei großer Hitze genug Kühle spenden. Infrastruktur müsse sturmsicher werden, mit hitzebeständigen, im besten Fall wasserdurchlässigen Straßen, Böden entsiegeln, auch das sei eine Anpassungsmaßnahme.

Münster bleibt klimapolitisch überfordert

Doch was ist die Realität in Münster: Der Stadtrat hat zwar Klimaneutraliät bis 2030 beschlosen, doch die Stadtverwaltung sieht sich nicht in der Verantwortung, die Klimaziele tatsächlich umsetzen und letztendlich erreichen zu können, da sie darauf laut eigener Bekundung keinen wesentlichen Einfluß hat und hauptsächlich Bund und Land dafür verantwortlich sind. (Wiedertäufer Blog: Klimaneutraliät -gut gemeint, aber auch gut gemacht?) Eine in Auftrag gegebene, aber konträr bewertete städtische Konzeptstudie, stellt einen finanziellen Kraftakt mit einer Milliarden-Summe fest, wenn Münster bis 2030 kein klimaschädliches Kohlendioxid mehr emittieren soll. Noch krasser jetzt aktuell die Stadtwerke, die als ein wichtigster städtischer Akteur für die Umsetzung vieler Maßnahmen verantwortlich sind. Sie halten die Klimaneutralität bis 2030 für unrealistisch. In Münster sind laut Stadtwerke nicht genug Dachflächen vorhanden, um die Photovoltaikvorgaben der Konzeptstudie zur Klimaneutralität 2030 zu realisieren. Das städtische Unternehmen sieht sich überfordert, `was zu unserer generellen Einschätzung führt, dass die vollständige Klimaneutralität bis 2030 aus unserer Sicht als nicht realisierbar erscheint´. Diese abschlägige Einschätzung haben die beiden Stadtwerke-Geschäftsführer in einer Stellungnahme geäußert. Insbesondere die Handlungsfelder Wohnen und Wärme aber auch das Thema Wasserstoff machen bis 2030 kaum Hoffnung. Und auch `der vorgeschlagene Zubau von 2500 Megawatt Solarenergie bis 2030 in der Studie erscheint als nicht umsetzbar´, heißt es. Die Dach-Potenzialanalyse der Stadtwerke sieht ein Netto-Potenzial von 540 Megawatt vor, doch dann müssten 100 Prozent der Dächer genutzt und weitere Freiflächen zugebaut werden. Und zudem ist bei der ohnehin umstrittenen Windenergie das Ziel nur erreichbar, wenn man Anlagen außerhalb des Stadtgebiets mitberücksichtigt. Denn in Münster habe man `lediglich noch zwei mögliche Winderenergieanlagen-Standort identifiziert`. Letzendlich ist auch die Herausnahme von Heizöl und Erdgas aus der Versorgung bis 2030 genauso unmöglich, wie die vollständige Umstellung auf nachhaltige und klimaneutrale Wärme. Da zudem die bisherige energetische Altbausanierungsquote von rund 2 Prozent auch nicht auf die notwendigen acht Prozent pro Jahr steigerbar sei, wird auch hier das Klimaziel weit verfehlt.

Betriebswirtschaftliche Bilanz unterschätzt Katastrophenwirkung

Als sehr wesentlich Argument gegen die Umsetzung wird zudem mal wieder die Finanzierbarkeit angeführt, wobei ein Teil dieses Problems hausgemacht ist. Vom Jahresüberschuss von 11,3 Millionen Euro der Stadtwerke im Jahr 2020 z.B., wurden bereits im vergangenen Dezember 6,5 Millionen Euro als Vorab­gewinnausschüttung an den städtischen Haushalt überwiesen statt sie direkt in den Klimaschutz zu investieren. Und immerhin noch 4,8 Millionen Euro verbleiben bei den Stadtwerken indem sie ihre ohnehin schon sehr hohe Eigenkapitalquote von immerhin 44,9 Prozent steigern. Es verbleiben so zwar 500 Millionen Euro, die in den nächsten 10 Jahren investiert werden sollen, um u.a. alle Privatkunden mit Ökostrom aus eigenen Anlagen zu versorgen, doch mehr wäre natürlich besser und auch möglich.

So bleiben in Münster die politischen Ziele für den Klimaschutz unerreichbar. Stattdessen sollen immer noch Leuchtturmprojekte, wie u.a. ein hunderte Millionen teurer Musikcampus realisiert werden, die enorme jährliche Unterhaltskosten produzieren. Und gerade die Ratsfraktionen der neuen Mehrheit um Grüne, SPD, Volt u.a. müssen sich fragen lassen, ob sie den Ernst der Lage wirklich erkannt haben, das so hinzunehmen und es auch in den nächsten Jahren nur ein “Weiter so” geben wird. Denn bilanziert man die Kosten, die aus den Klima Katastrophen resultieren, muss die Frage gestellt werden, ob die jetzt aufgestellte betriebwirtschaftliche Bilanz die Richtige ist. Denn nicht nur, dass es auch in Münster zu Todesfällen, Verletzungen und langfristigen Trauma bei vielen und jungen Menschen gekommen ist. Es werden auch schon allein die Kosten der jüngsten Katastrophen in Deutschland auf mindestens 5 Milliarden geschätzt, Tendenz weiter steigend. Und in Münster beliefen sich die Kosten für das bisher einmalige Ereignis in dieser Größenordnung im Jahr 2014 schon allein auf über 300 Millionen Euro.

Da sollten die Worte von Oberbürgermeister Lewe doch zu anderem Handeln und anderen Investitionsvolumen als bisher führen:`Die Regenflut hat ein existienzielles Gefühl für die Verletztlichkeit unseres Lebensraumes geschaffen.`

Wie wahr, doch auch wie wenig weitreichend die bisher gezogenen Konsequenzen!

Ein Kommentar

  1. Ich habe noch nicht einmal eine Karte mit den Bereichen die überflutet wurden von der Stadt bekommen. Die scheinen nur eine Karte mit Überschwemmungsgebieten zu haben. Wie will man da etwas verbessern, wenn die grundlegenden Daten fehlen.

    Wenn jemand so eine Karte haben sollte bitte einmal Verlinken.

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