Klartext

Achterbahn Wahlkampf

Der Autor: Rüdiger Sagel ist ein politisches Urgestein in Münster. Lange Jahre saß er erst für die Grünen, dann für die Linkspartei zunächst im Landtag, zuletzt im Stadtrat. Seine aktive politische Karriere hat er mit Ablauf der Legislaturperiode beendet.

Der Autor: Rüdiger Sagel ist ein politisches Urgestein in Münster. Lange Jahre saß er erst für die Grünen, dann für die Linkspartei zunächst im Landtag, zuletzt im Stadtrat. Seine aktive politische Karriere hat er mit Ablauf der Legislaturperiode beendet.

Ferienzeit, Urlaubszeit und noch gut zwei Monate bis zur Bundestagswahl am 26. September. Doch nicht nur in Münster konnte man den Eindruck bekommen, dass die Wahlen bisher kein Thema sind und auch die Kandidat*innen noch gar nicht auf der Bildfläche erscheinen. Tatsächlich beginnen Wahlkämpfe der jüngsten Vergangenheit immer später und die Parteien konzentrieren sich auf die kurze “heiße Phase” direkt vor den Wahlen, die letztlich entscheidend ist. Trotzdem ist aber auf der Achterbahn Wahlkampf schon einiges passiert und unser Gastautor Rüdiger Sagel stellt sich die Frage, wie es jetzt wohl weitergeht?

Eigentlich ist es nach der langen Ära Merkel Zeit für einen politischen Wechsel und im Frühjahr konnte man, nach der erstmaligen Nominierung einer Grünen Kanzlerkandidatin, tatsächlich diesen Eindruck gewinnen. Die Grünen lagen in Umfragen sogar kurzzeitig vor der CDU und deutlich vor der im langen Formtief schwachen SPD. Doch der Machtwechsel, der in Münster bei der Kommunalwahl noch stattfand und die neue Politik, die hier inhaltlich zumindest in Ansätzen erkennbar ist, scheint in Berlin im Hinblick auf die Bundestagswahl zunehmend weniger realistisch.

Wie ein Eisberg in der Sonne, schmolzen die hohen Umfrage Werte der Grünen Woche für Woche zusammen. Verstärkt durch die gravierenden Fehler von Kanzlerkandidatin Baerbock, die jetzt schon überfordert wirkt, und mit einer Partei, die schlecht vorbereitet auf die Herausforderungen dieser Kandidatur erscheint, entschwindet der Machtwechsel zunehmend. Umso mehr, da der schwach gestartete und mit der CSU und ihrem Parteichef Söder zunächst im heftigen Machtkampf zerstrittene CDU-Chef Laschet, Woche um Woche zulegen konnte.

Sogar der profillose SPD-Spitzenkandidat Scholz gewann zuletzt mehr Zuspruch und liegt aktuell vor Baerbock. So gleicht der bisher kaum vorhandene Wahlkampf schon jetzt einer Achterbahnfahrt. Die Grünen mit zwischenzeitlich fast 30 Prozent Umfragewerten liegen aktuell bei um oder unter 20 Prozent. Die CDU hingegen erreicht mittlerweile die Grünen Spitzenwerte und die SPD holt immerhin leicht auf.

Klimawahlkampf oder Tiefschlaf

Wird sich dieser Trend wieder ändern? Was passiert in dem in Corona Zeiten ohnehin schwierigen und dümpelnden Wahlkampf jetzt und was ist eigentlich in Münster los? Wird es nun ein Wahlkampf in Katastrophen-Zeiten, in dem das Klima-Thema den Grünen in die Karten spielt? Denn die Regenkatastrophe mit bedauerlich vielen Opfern und so noch nicht erlebter zerstörerischer Kraft, beeinflusst schon jetzt das Geschehen.

In Münster hat man eher den Eindruck von politischem Tiefschlaf und ansonsten Partystimmung, vor allem bei den Student*innen nach überwunden geglaubten Corona Zeiten. Nach teilweise heftigen Auseinandersetzungen vor allem bei CDU und Grünen zur Nominierung ihrer Direktkandidatit*innen, die wohl das Münstersche Bundestagsmandat unter sich ausmachen werden, ist nun sommerliche Ruhe eingekehrt. Da kann selbst Umweltministerin Schulze, als einer der bundesweit prominentesten Kandidat*innen, bei weiterhin schwacher SPD, kaum eine Chance eingeräumt werden.

Ob die Grünen zur Gewinnung des Direktmandats mit ihrer Kandidatin jedoch gut beraten sind, sei angesichts großer Zustimmung der Partei vor allem durch junge Leute der Fridays-for-Future Generation, mal dahingestellt. Denn am Ende ihrer Karriere ist es für die ziemlich blasse Klein-Schmeink nach gescheiterten Landtags- und Oberbürgermeister Kandidatur, in der sie sich sogar der schwachen SPD geschlagen geben musste, und Bundestagsmandat nur über die Parteiliste, die letzte Chance auf das Direktmandat.

Bei Münsters CDU musste der mögliche Weg für Kirchenmann Nacke in den Bundestag, auch erst freigeräumt werden. Sein Vorgänger im Landtag, der jetzige Präsident des Zentralkomitees der Katholiken Sternberg hat hier erneut, durch viele Anrufe bei CDU-Mitgliedern, die Strippen gezogen. Nachdem er den immer noch profillosen, und aus dem nichts aufgetauchten Kandidaten, schon in den Landtag gehievt hatte, soll es jetzt so auch beim Bundestag klappen. Bei der CDU Münsters zeigt sich aber erneut, welchen Einfluß die schützende Hand der Kirche noch hat. Dies trotz zahlloser Kirchenaustritte, auch bei der in Münster gegründeten katholischen Frauen Initiative Maria 2.0.

Etwas anders die Lage der SPD. Für den einstigen Ruhrgebietsimport und ebenfalls ehemalige Landtagsabgeordnete Schulze, musste jetzt Münsters junges Talent von Olberg, der noch bei der letzten Bundestagswahl antrat, aufgrund des Amtsbonus von Schulze, seinen ersehnten Platz räumen. Eher perspektivlos erklärte er da auch gleich seinen Rückzug als Parteivorsitzender, was die Lage für die SPD insgesamt auch nicht gerade verbessert.

Wird sich diese gepflegte Langeweile in Münster noch ändern und/oder schaut alles auf den weiteren Klima Sommer, der am 26. September in der Wahl kulminiert?

Kleine Parteien als Gegenspieler*innen

Zumindest etwas wird es auch davon abhängen, ob es die direkten Gegenspieler*innen der großen Parteien schaffen, sich Gehör zu verschaffen und sich stärker zu proflieren sowie den Wahlkampf zuzuspitzen.

Die CDU hat in Münster hat trotz eines misslungenen Laschet-Auftritts, wobei seine Autopanne fast schon symptomatisch war, im konservativen oder weiter rechten Spektrum, da wohl eher weniger zu befürchten. Die FDP war zwar im Aufwind, scheint aber nun zunehmend in eine Flaute zu geraten und könnte sich nur unwesentlich verbessern. Die skandalbehaftete Afd, die in der Domstadt kaum ein Publikum findet, ist gerade in Münster tief zerstritten.

Für die in Berlin immer noch mit der CDU regierende SPD und ihre Ministerin Schulze ist es da schon schwieriger, sich als soziale Kraft gegen die Linke zu profilieren. Doch auch der radikal und mit einer unbekannten Kandidatin in Münster auftretende Linkspartei, kann als langjährig zerstrittener Haufen kaum eine größere Prozentzahl eingeräumt werden. Denn zudem wirkt das bundesweite Erscheinungsbild durch den ewigen Streit ihrer führenden Protagonist*innen ziemlich desaströs und sie kämpft wohl eher darum, überhaupt wieder in den Bundestag einzuziehen. Die SPD bleibt so wohl eher sich selbst ein Problem.

Doch auch die Grünen können sich womöglich noch nicht zurücklehnen. Denn die gerade bundesweit neu gegründete “Klimaliste” plant mit einem eigenen jungen Kandidaten, die altgediente Grünen-Kandidatin thematisch herauszufordern und auch der amtierende Umweltministerin der SPD droht in Münster da Ungemach.

Was letztlich in den verbleibenden Wochen tatsächlich noch geschieht, bleibt aber weitgehend offen. Denn das Wahlvolk ist zunehmend volatil geworden und Stimmungschwankungen ausgesetzt. Zudem wissen immer weniger Menschen, ob sie überhaupt wählen und wenn, wer es denn sein wird, bei dem sie das Kreuz machen. So gesehen würde die Konzentration des Wahlkampfs auf wenige Wochen, mit dem Höhepunkt kurz vor der Wahl, durchaus Sinn machen, wenn da nicht der Anteil der Briefwähler*innen gerade in Corona-Zeiten enorm steigen würde.

So bleibt viel Potenzial für weitere Wendungen in diesem Wahlkampf oder wie es in einem Grünen Wahlprogramm-Slogan heißt: “Deutschland. Alles ist drin.”
Eines steht jedoch jetzt schon fest: Die Wähler*innen sind viel kritischer als allgemein angenommen!

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