Münster

Geiselnahme in JVA: Psychisch krank, aber trotzdem im Knast

Schauplatz der Geiselnahme: die JVA an der Gartenstraße in Münster.

Schauplatz der Geiselnahme: die JVA an der Gartenstraße in Münster.

Die Geiselnahme in der Justizvollzugsanstalt in Münster wirft Fragen auf über den Umgang mit psychisch kranken Inhaftierten. Das Problem an sich ist seit einiger Zeit bekannt.

Am vorletzten Freitag stand Münster bundesweit in den Schlagzeilen. In der JVA an der Gartenstraße hatte ein 40 Jahre alter Häftling eine Auszubildende als Geisel genommen und seine Freilassung gefordert. Nach drei Stunden beendeten Spezialkräfte der Polizei die Geiselnahme. Sie streckten den Häftling mit vier Schüssen nieder. Einer davon war tödlich.

Schnell kamen Fragen auf, die sich weniger mit dem Ablauf des Einsatzes, sondern vielmehr mit der Person des Getöteten beschäftigten. Dieser hatte lediglich eine viermonatige Haftstrafe abzusitzen, drei Wochen später wäre er ohnehin entlassen worden. Was war also sein Motiv?

In der Zwischenzeit verdeutlichte sich, dass der Täter möglicherweise nicht aus rationalen Beweggründen handelte. Schon am vergangenen Freitag schrieb die Polizei Münster in ihrer Pressemitteilung, der Täter habe einen “psychisch unberechenbaren Eindruck” gemacht. Dieser Eindruck verfestigte sich am letzten Freitag, als Justizminister Peter Biesenbach (CDU) im Rechtsausschuss des Landtags einen Sachstandsbericht vorlegte. Aus diesem ging hervor, dass der Insasse

  • bereits zuvor erhebliche Vorstrafen begangen hatte, hierunter gefährliche Körperverletzung
  • wegen seines aggressiven Verhaltens besonderen Sicherungsmaßnahmen unterlag
  • während der Geiselnahme erzählt hatte, er sei der Sohn der Jungfrau Maria und müsse wie in dem Film “Thor” zu einem Feld an einem roten Haus in Spanien, um dort einen Hammer abzuholen, mit dem er das Coronavirus zertrümmern wolle.

Ob eine psychische Erkrankung vorlag, ist in dem Bericht mit Verweis auf das postmortale Persönlichkeitsrecht nicht erklärt. Biesenbach sieht das offenbar entspannter. Wie die “Münstersche Zeitung” schreibt, bestätigte er am Rande der Ausschusssitzung das Vorliegen einer solchen Problematik.

Geiselnahme: Inhaftierter in der JVA richtig aufgehoben?

Angesichts der Schilderungen des Ministers drängt sich die Frage auf: War der Inhaftierte überhaupt haftfähig? Hätte er nicht in einer forensischen Psychiatrie untergebracht werden müssen?

“Wer in Haft kommt, wird erstmal für haftfähig gehalten”, erklärte eine Sprecherin des Justizministeriums auf Anfrage. Gleichwohl gebe es viele psychisch auffällige Häftlinge: “Das ist ein Problem, das sich immer mehr zeigt.” Zum konkreten Fall wollte sie keine Angaben machen.

Dabei ist die adäquate Versorgung von psychisch auffälligen Inhaftierten ein Problem, das schon länger bekannt ist. Nach dem Tod des Syrers Amad A. in der JVA Kleve hatte der Justizminister höchstselbst eine Kommission eingesetzt, die sich auch mit der Situation psychisch kranker Inhaftierter beschäftigen sollte.

Mitte 2019 verkündete das Gremium seine Ergebnisse. Die Situation psychisch Kranker habe die Kommission “betroffen gemacht” und bedürfe einer “dringenden Verbesserung”. Sie hatte 18 der 32 Justizvollzugsanstalten in Nordrhein-Westfalen besucht. Münster befand sich nicht darunter.

Gravierende Mängel im Justizvollzug

Akut erkrankte Inhaftierte müssen demnach bis zu einem Jahr warten, ehe sie einen der knappen Plätze im Justizvollzugskrankenhaus in Frödenberg bekommen. Bis dahin blieben sie “ohne adäquate Behandlung” in der bisherigen Vollzugsanstalt. In Fällen akuter Anfälle würden die Inhaftierten in videoüberwachte Isolierzellen gebracht. Die ambulante psychiatrische Behandlung sei nur “knapp ausreichend”. Neben einer Erhöhung der Kapazitäten schlägt die Komission unter anderem vor, auf Ersatzfreiheitsstrafen zu verzichten, wie das beim Geiselnehmer von Münster der Fall war.

Auch in seinem Fall zog die JVA einen Psychiater hinzu, schreibt die “Münstersche Zeitung” weiter. Der habe aber “keine akute Erkrankung” diagnostiziert, weswegen von einer solchen Tat nicht auszugehen gewesen sei.


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  1. In der Psychiatrie sind die Sicherheitsmaßnahmen oft noch weit geringer. Es gab schon mehrere Meldungen, dass Mitpatienten und Pflegekräfte durch Gewalttäter gefährdet wurden.
    In der klassischen Psychiatrie kommt noch ein weiterer Faktor hinzu. Manche Psychopharmaka verstärken noch die Neigung zu Mord (und Selbstmord).

    1. Es geht hier nicht um eine “normale” Psychiatrie, sondern um eine forensische Einrichtung. Das ist ein deutlicher Unterschied.

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