Stadtgeschichte(n)

Sie haben es geschafft: Drei Geflüchtete aus Syrien erzählen ihre Geschichte

Flüchtete aus Syrien: Tausendsassa Samir Sfouk ist Techniker, Journalist und Gastronom.

Flüchtete aus Syrien: Tausendsassa Samir Sfouk ist Techniker, Journalist und Gastronom.

2015 suchen hunderttausende Menschen Zuflucht in Deutschland. Mehr als ein Drittel aller Asylantragstellender kommen aus Syrien. In Münster fanden über 3000 geflüchtete Menschen ein neues Zuhause, nachdem Gewalt und Krieg sie gezwungen haben, ihre Heimat zu verlassen. Wie geht es ihnen heute? Drei Beispiele.

Samir Sfouk strahlt übers ganze Gesicht, wenn er seine Gäste begrüßt. Wer im Merakî (zu Deutsch: Hingabe) am Hansaring Essen geht, kann sich nicht nur von der Gastfreundschaft und den ausgewählten Köstlichkeiten einen Eindruck verschaffen, sondern wird zugleich Teil eines kulturellen Austauschs. Im lauschigen Garten des Restaurants wird der Gastgeber nicht selten zum Entertainer und spielt mit befreundeten Musiker*innen auf der Oud, einer Vorfahrin der europäischen Laute.

Sfouk ist angekommen in Münster, doch die Bewirtung von Gästen wurde ihm nicht in die Wiege gelegt. Zwölf Jahre war er in Amuda als Techniker angestellt, bevor man ihm 2012 wegen politischer Äußerungen kündigte. Ein Bekannter aus Deutschland bot dem gebürtigen Syrer schließlich an, journalistisch zu arbeiten und über das Leben in Syrien zu berichten.

Als er 2015 über die Mittelmeerroute nach Deutschland kam, setzte Sfouk alles daran, schnell die deutsche Sprache zu erlernen und ging nach dem Sprachunterricht in die Stadtbücherei, um dort weiter Deutsch zu lernen. “Im Flüchtlingsheim gab es kein Internet und die mobilen Daten waren zu teuer”, erklärt er. Obgleich er seinen Abschluss als Techniker in Deutschland anerkennen lies, wurden seine Bewerbungen abgelehnt. Mit seinen 39 Jahren sei er schlichtweg zu alt.

Vom Techniker zum Gastronom

Sfouk gründete den Radiosender “ und informiert seitdem Neuankömmlinge auf kurdisch und arabisch über die aktuellen Geschehnisse in Deutschland. Zusätzlich vermittelt er über sein Portal “ Wohnungen und Arbeitsstellen. “Wir leben in einer Stadt, in der 75 Nationalitäten zusammenleben, wir müssen dafür sorgen, Nachrichten für alle zugänglich zu machen”, meint Sfouk.

Als Journalist arbeitet er zumeist ehrenamtlich oder auf Honorarbasis. Seine Familie, die 2017 im Zuge der Familienzusammenführung nach Münster kam, hätte er so nicht versorgen können. Daher entschied er sich, mithilfe von Fördergeldern und einem Partner, ein Restaurant zu eröffnen. Das Merakî stelle für ihn, so Sfouk, eine Gelegenheit dar, mit den Münsteraner*innen von Angesicht zu Angesicht zu kommunizieren, ein Netzwerk zu schaffen.

“Hier habe ich niemanden”

Während ihr Mann das Restaurant betreibt, passt Sfouks Ehefrau Wafaa Hussein  zuhause auf die drei Kinder auf. Sie spricht gebrochen Deutsch. In Syrien habe sie Familie und Freunde gehabt. “Hier habe ich niemanden”, beklagt sie. Um mobiler zu werden, will Hussein den Führerschein schaffen und Fahrradfahren lernen. Ihr Mann unterstützt sie dabei, organisiert Sprachschulen, Frauentreffen, Kurse für Mütter. Doch seit Corona seien die Angebote zurückgegangen. “Ich kämpfe für Wafaa in allen Bereichen”, versichert Sfouk.

Für das Ehepaar vergeht kein Tag, an dem sie nicht die aktuellen Ereignisse in ihrem Heimatland verfolgen. Bombardierungen, das Leid ihrer Angehörigen, die Eskalation zwischen Kurden und dem syrischen Regime. All das gehört zu ihnen. Und doch: Im Restaurant merkt man dem herzlichen Sympath von alldem nichts an. “Es macht mir Freude, anderen Freude zu bereiten.” Samir bedeute schließlich “Spaß am Abend”, scherzt er.

Flucht über das Mittelmeer

Auch Aabid Saibi kam im September 2015 über die Mittelmeerroute nach Deutschland. Eigentlich heißt Saibi anders, aber seinen richtigen Namen möchte er lieber nicht veröffentlicht sehen. In Syrien hätte dem 36-Jährigen der Einzug in den Wehrdienst oder aber die Verhaftung gedroht. Der Mann seiner Schwester sei 2013 verhaftet worden. Seitdem habe niemand mehr etwas von ihm gehört.

Über etliche Stationen gelangte Saibi schließlich nach Münster, wo er das erste Mal aufatmete und sich seiner Situation bewusst wurde. “In der ersten Nacht habe ich im Traum meine Kinder gesehen und da habe ich gedacht: ich kann hier nicht bleiben, ich marschiere zurück.”

Mittlerweile hat der ehemalige CNC-Programmierer eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und arbeitet seit drei Jahren bei Pro Familia als Dolmetscher und Kulturmittler, indem er Menschen mit arabischem Migrationshintergrund bei Ämtergängen, Arztbesuchen und Rechtsfragen unterstützt. Seine Frau und die vier Kinder kamen nach drei Jahren im Zuge der Familienzusammenführung ebenfalls nach Münster.

Saibi, der einen Großteil seiner Arbeitszeit bei Ämtern verbringt, wirkt resigniert. “Viele nutzen aus, dass die Flüchtlinge die Sprache nicht beherrschen und die Gesetze nicht kennen”, kritisiert er. Seine negativen Erfahrungen allerdings belaufen sich auch auf die eigene Person: “Jeden Tag habe ich das Gefühl, dass wir unerwünscht sind”, sagt er leise und fügt erklärend hinzu: “Ich merke das vielleicht besonders deutlich, da ich jeden Tag bei Behörden bin.”

“Wenn der Krieg vorbei ist, will ich zurück nach Syrien”

Über seine Arbeit freut sich Saibi trotzdem: “Ich bin einfach so froh, wenn ich jemandem helfen kann; ich habe jeden Tag eine Geschichte von jemandem, der nicht weiterkommt.” An seiner Grundeinstellung können diese Erfolgserlebnisse jedoch nichts ändern. “Wenn der Krieg vorbei ist, will ich zurück”, sagt er entschlossen. Nur sein Blick verrät, dass seine Hoffnung darauf schwindet.

Saibi erzählt von dem Syrien seiner Erinnerung. Von belebten Nachtmärkten, von Treffen mit Freunden auf den Dächern der Häuser, von Spontanität und einem freien Terminkalender. Trotz zehn Stunden Arbeit sei er immer wach gewesen, hier fühle er sich gestresst und abgeschlagen. “Trotzdem bin ich froh, wenn ich viel zu tun habe, denn sonst fängt das Denken an”, so Saibi.

In seiner Heimatstadt Damaskus herrscht derweil Lebensmittelknappheit, es gibt kaum Strom und viele Familien sind wirtschaftlich ruiniert. “Wenn ich mit meinen Eltern telefoniere, kommt die Sehnsucht”, erzählt er matt, “es tut mir leid, dass ich hier in Frieden lebe, während sie leiden.”

“Die Sprache ist die erste Grenze”

Rosheen Ahmed kam bereits 2013 mit ihren beiden Kindern nach Deutschland. Erst 2015 konnte ihr Mann, den sie als ihren besten Freund bezeichnet, im Rahmen der Familienzusammenführung nachkommen. Über die genauen Umstände ihrer Flucht möchte die 43-jährige Kurdin aus Afrin lieber nicht sprechen.

Allein die Erinnerung an ihr früheres Leben treibt der resoluten Frau Tränen in die Augen. „Ich habe lange nicht darüber gesprochen”, sagt sie entschuldigend. Ahmed erinnert sich an eine Zeit vor dem Krieg, die frei vom Denken in Religions- oder Volkszugehörigkeiten war. Sie habe seither viele Freund*innen verloren.

Die gelernte Bauingenieurin konnte sich ihre Ausbildung zwar anerkennen lassen, musste dann aber feststellen, dass ihr die nötigen Fachbegriffe fehlten und entschied sich für eine Umschulung. „Die Sprache macht die Probleme, sie ist die erste Grenze”, betont Ahmed, die heute als technische Zeichnerin für Elektrotechnik im Landschaftsverband Westfalen-Lippe arbeitet. Um anderen diese Barriere zu erleichtern, arbeitete sie zudem ehrenamtlich bei der Stadt Greven als Dolmetscherin für geflüchtete Menschen.

Zukunft in Deutschland

Seit Juni diesen Jahres hat Ahmed die Deutsche Staatsbürgerschaft. Ihre Zukunft verortet sie hier – zusammen mit ihren Plänen und Wünschen: “Ich bin jetzt Deutsche”, sagt sie, “unsere Kinder sind hier sozialisiert, unsere Zukunft ist hier.” Ihr Sohn besucht die achte Klasse einer Gesamtschule, ihre Tochter studiert im dritten Semester Innenarchitektur und ihr Mann arbeitet als technischer Zeichner. Sie selbst plant ein Fernstudium als Elektroingenieurin. “Wenn man ein Ziel hat und positiv denkt, kann man alles erreichen”, ist sie überzeugt.

Über ihre Heimat fügt sie hinzu: “Wir träumen jeden Tag davon, wie es wäre, wieder zuhause in unserem Dorf zu sein. Afrin bleibt immer in unseren Herzen.”


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