Stadtgeschichte(n)

Befahrung mit der Feuerwehr: Hinter fast jeder Kurve lauert ein Hindernis

Miilimeterarbeit für die Feuerwehr.

Die Fahrradstadt Münster hat mit ihren Autos zu kämpfen – und das nicht nur auf den Hauptverkehrsachsen. Immer mehr Fahrzeuge verstopfen die Straßen in den Wohngebieten. Das wiederum stellt die Feuerwehr vor Probleme.

Die Befahrung hat gerade erst begonnen, schon taucht das erste Hindernis auf. In der schmalen Arndtstraße in Uppenberg parken Autos auf der Straße, es bleibt nur ein schmaler Spalt für den übrigen Verkehr. Was für einen Pkw ausreichen mag, ist für das Einsatzfahrzeug der Feuerwehr zu eng. “Hier wäre jetzt Einsatzende”, sagt Romanus Kampert von der Brandschutzdienststelle. Also, absitzen und Ausschau halten nach den Eignern des dunkelblauen Mercedes, der die Weiterfahrt verhindert.

Glücklicherweise ist niemand in Lebensgefahr, nirgendwo brennt es. Das erklärt auch die Entspannung der vier Männer in dem schwer zu übersehenden, knallroten Einsatzfahrzeug der Feuerwehr. Sie prüfen an dem lauen Abend im Frühherbst die Befahrbarkeit ausgewählter Straßenzüge und Viertel. Die im Fachjargon “Befahrung” genannte Aktion bleibt nicht unbemerkt. Neugierige schauen aus den Fenstern, Passanten bleiben stehen. Weithin ist das markante Wummern des Diesels zu vernehmen.

Dann taucht der Besitzer des Kombis zusammen mit seiner Lebensgefährtin auf. Nach einem kurzen Gespräch bereinigt er die Situation – was ihm sichtbar unangenehm ist. “Das Verständnis für das Problem ist da”, erklärt Matthias Gudorf vom Ordnungsamt. Nur: Entsprechend handeln tun die meisten nicht. Wer ein Auto hat, muss es auch irgendwo abstellen. Nach der dritten Runde um den Block werde es dann schonmal dort abgestellt, wo es Probleme verursachen könnte.

Ultima Ratio Sprungpolster

“Das müsste man mal grundlegend angehen”, sagt die junge Frau, deren Lebensgefährte den Feuerwehreinsatz im Extremfall deutlich verzögert hätte. Sie selbst sei auf das Auto wegen ihrer Arbeit angewiesen. “Wir müssen die Mülltonnen immer ans Ende der Straße schieben, weil die Müllabfuhr hier nicht durchkommt”, beschwert sich eine andere Anwohnerin. Die nächste erinnert sich: “Wir hatten mal das Problem, dass wir die Feuerwehr brauchten, aber die kamen dann nicht durch.”

Genau das ist nämlich der springende Punkt. Auf der Straße neben dem Mercedes blieben der Feuerwehr noch 2,30 Meter, berichtet Gudorf mit dem Maßband in der Hand. Das Einsatzfahrzeug der Feuerwehr ist aber 20 Zentimeter breiter. Einfach wegschieben, wie die imposante Statue des Gefährts suggeriert, kann es andere Autos auch im Ernstfall nicht.

An der Arndtstraße ist kein Durchkommen für das Einsatzfahrzeug der Feuerwehr.
An der Arndtstraße ist kaum ein Durchkommen für das Einsatzfahrzeug der Feuerwehr.

Die Durchfahrt ist dabei nicht das einzige Problem: Wenn die Drehleiter benötigt wird, um in höhere Geschosse zu kommen, ist eine Abstützung des Fahrzeugs notwendig. Muss die Leiter geschwenkt werden, wird weiterer Raum benötigt. Sonst bleiben die Dachgauben im vierten Stockwerk, wie an der Arndtstraße, nur über das Treppenhaus erreichbar – und das wiederum ist im Extremfall möglicherweise nicht passierbar. “Wenn wir die Drehleiter jetzt hier bräuchten, könnten wir sie nicht einsetzen”, stellt Kampert klar. Als ultimative Lösung bliebe dann nur das Sprungpolster, um die Bewohner vor dem Feuer zu retten.

Feuerwehr wird ausgebremst

Immerhin geht es nach einiger Verzögerung in der Arndtstraße weiter. Trotzdem ist stellenweise Millimeterarbeit gefragt. Ein Vater und sein kleines Kind schauen gespannt zu, wie die Männer ihr Gefährt durch die Engstelle lotsen. “Das ist auch ein wenig Öffentlichkeitsarbeit”, gibt Gudorf unumwunden zu. In erster Linie aber sollen mit solchen Befahrungen kritische Stellen im Stadtgebiet überprüft werden.

Zweimal im Jahr führen Feuerwehr und Ordnungsamt solche Aktionen durch, ganz bewusst in den Abendstunden, um sich ein realistisches Bild der Lage zu verschaffen. Die neuralgischen Punkte sind bekannt: Kreuz-, Süd- und Hansaviertel mit ihrer hohen Bewohnerdichte und den stellenweise schmalen Straßen sind klassische Problemzonen. Aber auch einzelne Straßen wie die Wallgasse oder eben die Arndtstraße. Hier fließen auch die Rückmeldungen aus den Einsatzberichten der Feuerwehr ein.

Weiter geht es ins nahe Kreuzviertel: An der Ecke Mariental- und Hedwigstraße stehen Fahrzeuge im Parkverbot, das extra an dieser Stelle eingerichtet wurde, um den Rettungskräften im Ernstfall einen schnellen Zugang zum Einsatzort zu ermöglichen. Wenn Verbote aber ignoriert werden, ist genau das nicht möglich. Wieder kostet es im Ernstfall wertvolle Sekunden, um um die Kurve zu kommen.

Keine finale Lösung

“Wäre super, wenn hier keine Autos wären”, ruft eine Fahrradfahrerin im Vorbeifahren. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall in der wachsenden Stadt Münster: Mehr Einwohner bedeuten mehr Autos. Die Zahl der gemeldeten Pkw hat sich nach Angaben der Stadt seit 2010 um zwölf Prozent erhöht. Obendrein kommt die Verdichtung des knappen Wohnraums. Die Straßen aber bleiben die gleichen wie vor 50 oder 150 Jahren.

Nur: “Autos raus” ist aus Sicht von Ordnungsamts-Mann Gudorf zu einfach gedacht. Die Verwaltung ist bereits pragmatisch, beispielsweise bei der Tolerierung von Gehwegparken – wofür es auch Kritik gegeben hat. Hier gilt der Grundsatz, dass das Parken auf Gehwegen außerhalb des Promenadenrings geduldet werden kann, wenn neben dem Fahrzeug ein ausreichend breiter Gehweg verbleibt. Gudorf verweist zudem auf §12 der Straßenverkehrsordnung. Dort heißt es in Absatz 1 Satz 1: “Das Halten ist unzulässig an engen und unübersichtlichen Straßenstellen.”

Besonders die Kurvenbereiche sind für die Feuerwehr schwer zu passieren.
Besonders die Kurvenbereiche sind für die Feuerwehr schwer zu passieren.

Einseitig mit expliziten Halteverboten zu operieren kann aus seiner Sicht am Ende auch nicht die Lösung sein: “Das Problem potenziert sich dann woanders.” Bewohnerparkplätze, erklärt er weiter, helfen nur beschränkt. Maximal die Hälfte des Parkraums könnten hierfür reserviert werden. “Eine finale Lösung haben wir auch nicht.”

Problemfall SUV

Eine andere Entwicklung verschärft die Situation in Münsters Park-Problemvierteln. Was für die Parkhäuser der Republik gilt, macht sich auch hier bemerkbar: Die Autos werden immer größer. Das gilt einerseits für die viel gescholtenen SUVs, die sich steigender Beliebtheit erfreuen.

Auch die durchschnittlichen Vehikel sind gewachsen: So maß der Golf I von 1974 ohne Außenspiegel eine Breite von 1,61 Metern, bei seinem aktuellen Nachfolger mit der Versionsnummer VII sind es bereits 1,80 Meter. Andersherum sind die Möglichkeiten für die Verschlankung der Feuerwehrfahrzeuge beschränkt.

Die Konsequenzen sind bei der Befahrung zu sehen. Es fühlt sich ein wenig wie für Bill Murray in “Und täglich grüßt das Murmeltier”. Der verlebt einen Tag immer wieder aufs Neue. Während der Befahrung tauchen hinter fast jeder Kurve ähnliche Hindernisse auf. “Es macht uns das Leben echt schwer, wenn Autos in der Kurve parken”, beschreibt Kampert ein gängiges Problem. Im Einsatzfall kann dann keine Rücksicht genommen werden auf die Rückspiegel der parkenden Autos. Der Fahrer des Feuerwehrfahrzeuges riskiert dabei, in Haftung genommen zu werden für die Schäden.

Es ist noch immer gut gegangen

“Wirklich kritische Einsätze haben wir glücklicherweise selten, aber auch beim vergessenen Kochtopf auf dem Herd müssen wir mit Vollschutz anrücken”, erläutert Kampert. Wenn es auf der Straße nicht weitergeht, müssen die Männer absitzen und die restliche Strecke laufen. Wenn mit voller Ausrüstung, Schlauch, Wärmebildkamera und Atemluftflasche 150 Meter überbrückt werden müssen, kostet dies wertvolle Zeit. “Im Zweifel wird der Einsatz dadurch erheblichst verzögert.”

Das könne auch rechtliche Konsequenzen für die Falschparker haben. In 91 Prozent der Fälle sind die Rettungskräfte im innerstädtischen Bereich innerhalb der Vorgabe von maximal acht Minuten vor Ort, wie aus dem entsprechenden Bedarfsplan hervorgeht.

Konzentration ist angesagt im Kreuzviertel.

Im Südviertel ist ab der Ecke Augusta-/Südstraße nur noch Schrittgeschwindigkeit möglich. Parkende Autos säumen beide Straßenseiten, selbst Fahrer eines durchschnittlichen Pkw müssen sich hier konzentrieren, um nicht anzuecken. “Solche langsamen Fahrten kosten Zeit”, ärgert sich Kampert. “Das ist eine Geduldsprobe für Bürger in Not.” Der neben ihm sitzende Gudorf notiert sich die Situation aufmerksam: “So etwas wie hier nehmen wir mit.”

Stärkere Überwachung ist eine der denkbaren Maßnahmen, Halteverbote und Sperrflächen sind die nächste Eskalationsstufe. An der Tom-Rink-Straße hat die Verwaltung Auto-Parkplätze für Fahrräder umgewidmet und das mit entsprechenden Abstellbügeln zementiert. Bis die Männer es an diesem Abend bis dorthin geschafft haben, vergehen von der Südstraße aus sieben Minuten. Für 400 Meter.


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