Stadtgeschichte(n)

Auf Stippvisite im Puff

Besuch im Puff

Körperlichkeit, Nähe, Sexualität: Auch Menschen mit Behinderung haben Bedürfnisse – aber darüber wird häufig nicht gesprochen. Wenn doch, dann behindern manche Träger der Behindertenhilfe pragmatische Lösungen.

Gerald ist so schätzungsweise Mitte 50. So ganz genau abschätzen kann man das nicht. Fest steht, dass er eine echte Type ist mit seinem etwas wirren Blick und den nicht minder wirren Haaren, die er meistens unter einem Käppi versteckt. Gerald und ich, wir sind uns gleich „sympathisch“. Die Kommunikation mit ihm ist nicht ganz einfach, denn nach einem Schlaganfall vor einigen Jahren redet er ziemlich undeutlich. Viel mehr weiß ich nicht über ihn.

Gerald heißt nicht Gerald und das ist zugleich ein nicht ganz unbedeutender Teil dieser Geschichte und wie ich selbst Teil davon wurde. Ausschlaggebend ist Geralds Wunsch nach Geschlechtsverkehr. Eine auf körperlich und geistig eingeschränkte Menschen wie ihn spezialisierte Sexualassistentin, bei der es um körperliche Nähe, aber nicht um mehr geht, hat er bereits ausprobiert. Für Gerald steht fest: Er möchte Penetration. Eine solche Dienstleistung ist seit Menschengedenken in Bordellen gegen Zahlung eines Entgelts erhältlich – auch oder gerade im katholisch geprägten Münster.

Wo wir beim Thema sind: Gerald wohnt in einer Einrichtung, die sich in Trägerschaft eines, nun ja, katholisch orientierten Unternehmens befindet. Das bedeutet, dass sein Betreuer ihn vielleicht noch zu einem Bordell bringen könnte, ohne dabei seinen Job zu riskieren, mehr aber nicht. Das Problem bei Puffs: Viele Einrichtungen dieser Art sind nicht barrierefrei. Es wurde also eine, nennen wir es mal so, externe Hilfe benötigt. Und das ist der Punkt, an dem ich ins Spiel komme.

Nicht der erste Puffbesuch
Zumal ich in dieser Richtung schon einige Vorerfahrung mitbringe. Auf Parties ist das immer ein super Gag, wenn ich offen bekenne, bereits mehrfach in einem Puff gewesen zu sein – um dann schnell nachzuschieben, dass das immer eine dienstliche Angelegenheit gewesen ist. Vor 17 Jahren habe ich mich mal ein paar Monate als Pizzabote verdingt und auch Prostituierte bekommen Hunger. Am prägnantesten in Erinnerung ist mir noch die – auch heute noch existierende – Wunschfabrik am Kerstingskamp in Kinderhaus, da musste man immer mit einem Aufzug hoch. Der intensive Geruch von billigem Parfüm, so als ob man etwas übertünchen wollte, ist mir heute noch in lebhafter Erinnerung.

Die Wunschfabrik, um das gleich vorweg zu nehmen, hätte allerdings Geralds Budget gesprengt. Das geographisch am nächsten gelegene Etablissement ist, wie sich auf eine zweite Vorab-Anfrage hin herausstellt, eben doch nicht barrierfrei. Das erfahren wir aber erst, als Gerald mit seinem Rollator quasi schon auf gepackten Koffern sitzt. Kurzfristig recherchieren wir ein Freudenhaus, das im Internet einen ganz vernünftigen Eindruck macht und auch nicht mit irgendwelchen Flatrate-Angeboten daherkommt.

Tatsächlich macht der Laden einen anderen Eindruck als das, was ich aus meiner Pizzataxifahrer-Vergangenheit kenne. An einer Art Rezeption empfängt uns eine – wohlgemerkt bekleidete – Dame, der wir uns schon angekündigt hatten. Gerald darf sich auf einem Tablet eine der verfügbaren Damen aussuchen und bucht zu meiner Verwunderung direkt eine Stunde. Aber ist ja sein Geld. Wir vereinbarten einen Abholzeitpunkt, die Empfangsdame hakt Gerald unter und ich mache den Abflug.

Reine Triebabfuhr war gestern
Hätte ich mir die Zeit in einer Art öffentlichen Bereich vertreiben wollen, wären für mich auch 40 Euro fällig geworden. Und, das war mir vorher nicht so bewusst, man fährt hier einiges für die Kundschaft aus. Sauna, Whirlpool, aber auch Bundesliga-Fußball und Buffet sind inklusive. Der Puff als reine Anstalt für Triebabfuhr ist wohl ein Konzept von gestern. Wie ich mir später von einem Bekannten, der solche Etablissements aus persönlicher Erfahrung kennt, erzählen lasse, ist das wohl ein genereller Trend: der Puff als Ort zum Verweilen und Entspannen. Schmuddelecke war gestern.

Nachdem ich Gerald abgeliefert habe, gehe ich mit seinem Betreuer einen Kaffee trinken. Kaum haben wir uns hingesetzt, vibriert mein Handy: „Er hat doch nur eine halbe Stunde gebraucht.“ Wir kippen den Kaffee runter und machen uns auf den Rückweg. Im Puff kommt mir ein sichtlich derangierter Gerald entgegen, der sich nach seinem kurzweiligen Vergnügen direkt die Zigarette danach anzündet. Eigentlich ist er ja Pfeifenraucher. Die gönnt er sich, zu Hause angekommen, begleitet von einem Bier in der Samstagsnachmittagssonne.