Klartext

Corona-Champion Münster: Supergeil! Nicht so ganz.

Corona-Maskenpflicht auf dem Prinzipalmarkt.

Es ist wieder soweit. Wir in Münster sind die Klassenbesten. Beim Tatort, bei der Afd – und jetzt auch bei Corona. Derzeit haben wir eine der niedrigsten Sieben-Tage-Inzidenzen des ganzen Landes. Da klopfen wir uns wieder einmal mächtig selbst auf die Schulter – für etwas, das wir allenfalls beschränkt beeinflussen können. Eine Glosse.

Corona wütet auf der ganzen Welt. Nur nicht in Münster. Hier geht es uns ein klein wenig weniger beschissen als dem Rest. Das Social Web jubelt über die Sieben-Tage-Inzidenz, so etwas wie der Heilige Gral des Infektionsgeschehens, die sich unter der magischen Marke von 50 bewegt. Bitte nicht falsch verstehen: Das ist selbstverständlich zu begrüßen und eine positive Entwicklung.

Bei solchen Gelegenheiten kommen dann Fernsehteams nach Münster. Sie wollen wissen: Wie machen die das bloß? Und die  Journalisten stellen dann manchmal ziemlich merkwürdige Fragen, bei denen es vielleicht besser ist, keine Antwort zu geben. Henriette Reker und ihre “Armlänge Abstand” ist so ein Beispiel. Oder Ordnungsdezernent Wolfgang Heuer: “Die Münsteraner identifizieren sich sehr stark mit der Stadt”, sagte er im letzten Jahr dem WDR. Deswegen “fällt es sehr vielen Bürgern leicht, auch solidarisch und rücksichtsvoll auf andere zu schauen.”

In Corona-Fragen die Wissenschaft fragen

“Ich glaube, dass es zu einem Teil auch mit der Grundhaltung der Menschen hier zu tun hat”, gab sich Oberbürgermeister Markus Lewe am Freitag im “ARD Morgenmagazin” noch etwas demütiger – um dann darauf zu verweisen, dass Münster als eine der ersten Städte einen Krisenstab eingerichtet und Maskenpflicht eingeführt hat. Im Frühjahr, wohlgemerkt.

Vielleicht ist es in solchen Situationen sinnvoll, auf die Wissenschaft zu verweisen, anstatt mangels fundierter Antworten den ohnehin grassierenden Lokalpatriotismus zu bedienen. Der Pöbel im Social Web feiert das ach so tolle Münster bereits ab wie sonst nur bei Rekordeinschaltquoten für Boerne und Thiel oder rekordniedrigen Wahlergebnissen für die Afd.

In beiden Fällen ist mindestens diskussionswürdig, inwieweit Münster diese Zahlen als Resultat der eigenen Leistung und dieser wahnsinnig tollen Disziplin der Menschen in der Stadt für sich verbuchen kann. Aber komplexe Zusammenhänge verlangen nach einfachen Antworten. Trump-Anhänger und “Bild”-Lesende sind da sehr gute Beispiele.

Kommen wir also zu einer wissenschaftlichen Einschätzung. Die Entwicklung könnte unter anderem an günstigen Voraussetzungen der Universitätsstadt liegen, vermutet der Epidemiologe André Karch von der Universität im “Moma”. “Wir haben sehr viele Singlehaushalte in Münster, sodass dann in diesem Bereich wirklich nur Arbeitskontakte neben anderen sozialen und privaten Kontakten überhaupt zur Übertragung beitragen können.”

Und dann wäre da noch…

Nicht zuletzt stellt sich die Frage, wie viele der knapp 60.000 Studierenden momentan Präsenzveranstaltungen haben (relativ wenige) und wie viele in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Weitere begünstigende Faktoren könnten die solitäre Lage der Stadt und der mutmaßlich vergleichsweise hohe Anteil an Arbeitsplätzen im Dienstleistungs- und Verwaltungssektor sein, wo Home Office eher möglich ist als in klassischen Industriebetrieben, von denen es hier nicht so viele gibt.

Am Ende gibt es keine wirklich eindeutigen Antworten auf die Frage, warum Münster als gelber Fleck auf der sonst eher roten Infektionskarte der Republik hervorsticht. Neben der sicherlich vorhandenen Disziplin dürften Rahmenbedingungen und Strukturen eine maßgebliche Rolle spielen.

Demut ist jedenfalls ein guter Ratgeber in diesen Zeiten, denn, um nochmal den OB zu zitieren: “Es kann sich auch jederzeit wieder ändern und Hochmut kommt vor dem Fall.”


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  1. Die Münsteraner:innen dürfte an den Inzidenzzahlen vor allem interessieren, dass sie auch das Risiko abbilden, sich in Münster mit dem Virus zu infizieren. Das ist gegenwärtige von allen Großstädten deutschlandweit am niedrigsten. Und dazu trägt natürlich bei, dass sich die allermeisten an die Lockdown-Vorschriften halten.

    1. Dass sich die meisten (vermutlich) an die Lockdown-Vorschriften halten, ist ja nicht die Frage, sondern: Ob es so ist, dass sich die Münsteraner aus Idealismus oder was auch immer mehr dran halten als andere: “Neben der sicherlich vorhandenen Disziplin dürften Rahmenbedingungen und Strukturen eine maßgebliche Rolle spielen.” Wenn man diese Einflüsse tatsächlich versteht, kann man politisch ja auch sinnvoller agieren, als wenn man sich nur freut, dass die Zahlen niedrig sind und sich erzählt, dass es am eigenen vorbildhaften Verhalten liegt.

      (Ob man allerdings bei einer solchen Diskussion auf den “Pöbel” sowie “Trump-Anhänger” und “‘Bild’-Lesende” verweisen muss, ist fraglich; zumal das nach dem gleichen Abgrenzungsdrang klingt, der hier kritisiert wird.)

  2. Okay, Niels,
    das ist all in all erfrischend nüchtern und wenig vom Lambertiglanz verblendet dargestellt. Aber ganz ehrlich, ich debke, Du bleibst ein paar Beispiele schuldig dafür, wie sehr wir Münsteraner in – egal welchen – Notsituationen für einander einstehen!
    Hochwasser 2014?
    Wir rücken aus und helfen wildfremden Mitbürgern dabei, ihre Keller auszupumpen, Häuser zu räumen, Wertvolles zu retten und spenden Güter für Mitbürger, die alles verloren haben!
    Ein Kranker mäht durch den kleinen Kiepenkerl?
    Die Uni Klinik bittet um Blutspenden und in weniger als 2 Stunden sind so viele freiwillige Spender*innen vor Ort, dass die Uni die Leute wieder wegschicken muss.
    AFD Clowns in unserem Rathaus?
    Wir gehen raus und machen uns grade gegen den Mist!
    And so on and so on.
    Also: mäkel mal bidde nicht so viel an uns und unserer Solidarität rum.
    Danke

  3. Übertriebenen Lokalpatriotismus und Regeltreue z.B bei Ampelrot sowie fehlende Wiederstandskultur unter den Studierenden kann man den Münsteranerinnen sonst durchaus vorwerfen . In diesem Pandemiefall macht sich das evtl auch Positiv bemerkbar. Der Wohlstand, das Bildungsniveau und die Wohnsituation sowie viele Arbeitsplätze mit niedrigem Risiko sind vermutlich noch entscheidender…Danke an alle die so vorbildlich handeln

  4. Noch ein paar wissenschaftliche Vermutungen/Thesen:
    Münster ist verdammt reich. Stadt/Kommune wie auch Pirvatpersonen. Menschen können sich hier im Schnitt also auch mehr Raum leisten. Mehr Wohnraum z.B., Mehr Raum auf der Straße zB, da Menschen eher ins Auto denn in den Bus steigen. Autos muss Mensch sich leisten können.
    Mehr als 1/3 ALLEN Verkerhs wird eh schon mit dem Fahrrad getätigt. Ich vermute, das hat sich seit Corona nicht verringert. Auf dem Fahrrad steckt sich (im vgl. zu Bus&Bahn) sicherlich niemand an.
    Münster ist sehr flächenextensiv. Einwohnerzahl und Fläche in Relation gesetzt ist es eine der ‘größtem’ Städte Deutschlands. Das sorgt für viel Platz. Für viel Luft.

    Münster ist im vgl. zu vielen anderen Städten dieser Größe auch in gewisser Weise “isoliert”. Es gibt kaum Pendelverkehr aus anderen Großstädten (vielleicht minimal Dortmund&Osna) im Gegensatz zB zum Ruhrgebiert, Niederrhein, Rhein-Main, you name it… Das sorgt für deutlich weniger Zirkulation.

    Auf jeden Fall alles Faktoren für die die Münsteraner*innen selbst wenig “können”.

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