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City-Maut nachrecherchiert: Schlechter Füllstoff für das Sommerloch

Feinstaub-Hotspot Bült: Hier ein Bild aus der Zeit vor Corona.

Feinstaub-Hotspot Bült: Würde eine City-Maut hier helfen?

Sie war das Münsteraner Sommerloch-Thema schlechthin – oder wurde zumindest dazu gemacht: die City-Maut. Autofahrers Zorn entlud sich an den Stammtischen, in der Lokalpresse und im Social Web. Dabei handelt es sich nur um einen Prüfauftrag, den Schwarz-Grün seinerzeit beschlossen hat. Wir haben der Stadtverwaltung jetzt etwas Arbeit abgenommen – mit einem eindeutigen Ergebnis.

Mit Recherchen ist das manchmal wie mit Kneipen-Bekanntschaften: Am nächsten Morgen denkt man sich, die- oder derjenige habe am Vorabend doch etwas besser ausgesehen. Im Journalismus ist es ähnlich, wenn sich der Knaller nach der ersten Recherche lediglich als Zisselmann entpuppt. Wir wissen nicht, wie das bei der City-Maut und unseren publizistischen Marktbegleitern gelaufen ist. Aber im Sommerloch verhält sich das – um beim eingangs beschriebenen Bild zu bleiben – wie bei der Anbahnung zwischenmenschlicher Kontakte unter Alkoholeinfluss zu weit fortgeschrittener Stunde. Man nimmt, was man noch kriegt.

Da kam die schwarz-grüne Rathauskoalition mit ihrem Masterplan zum Thema Verkehrsinfrastruktur in der letzten Sitzung vor der Sommerpause ganz recht. Darin enthalten sind diverse Maßnahmen, um dem steigenden Verkehrsaufkommen der wachsenden Stadt Herr zu werden. Hierzu gehört unter anderem der Auftrag an die Verwaltung, Instrumente zu prüfen, “um den Autoverkehr im Zentrum der Stadt zu reduzieren. Dabei sind auch Road-Pricing-Modelle zu untersuchen.”

Die Journaille nahm die (wohl unfreiwillige) Steilvorlage dankbar an. Denn: Packt man den deutschen Michel an seinen vier Rädern, hört der Spaß schnell auf. Der Prüfauftrag sorgte denn auch bei den Autofahrern für stark erhöhte Drehzahlen, wie die “Westfälischen Nachrichten” recherchierten. Bitte beachten: In der Dachzeile ist bereits von “Plänen für die City-Maut” zu lesen. Auch der “WDR” berichtete vom “Streit um City-Maut”. Jetzt war das Thema endgültig in der Welt und die CDU inklusive ihrer wahlkämpfenden Bundestagsabgeordneten Sybille Benning sah sich genötigt, darauf hinzuweisen, dass das doch eigentlich eine Idee der Grünen sei. Die wiederum unterstrichen, dass das ja nur eine Idee von vielen sei.

Phantomdiskussion
Die Debatte jedenfalls schlug so hohe Wellen, dass man selbst in Landtag in Düsseldorf davon Wind bekam. Die SPD-Abgeordnete Sarah Philipp stellte eine Kleine Anfrage an die Landesregierung, wie sie es denn mit dem Thema City-Maut hält. Die Antwort kam Ende August. Wesentliche Aussage: “(…) ist es das Ziel der Landesregierung, die innerstädtische Verkehrssituation und Lebensqualität zu verbessern (Vermeidung von Staus, Senkung von Schadstoffemissionen, Verringerung des Verkehrslärms), ohne in diesem Rahmen neue Fahrverbote oder Gebührensysteme einzuführen.”

Da haben wir uns gedacht: Moment, wenn die Landesregierung dagegen ist, wer wäre denn im Fallesfall überhaupt befugt, eine solche Regelung einzuführen? Solche Fragen kann eine Kommune im Normalfall nämlich nicht ohne eine entsprechende Rahmengesetzgebung durch eine übergeordnete Instanz entscheiden. Beim Verkehrsministerium des Landes wollte man sich auf Anfrage nicht festlegen.

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hingegen befand bereits 2013: “Da die Einführung einer City -Maut unabhängig von der jeweiligen Ausgestaltung immer einen Eingriff in die Grundrechte der Straßennutzer und ggf. Anlieger darstellt, muss sie dem Vorbehalt des Gesetzes genügen; sie muss daher auf Grundlage eines Bundes – oder Landesgesetzes erhoben werden. Eine gemeindliche Satzung ohne gesetzliche Grundlage ist hierfür nicht ausreichend. Eine gesetzliche Grundlage liegt derzeit wohl weder auf Bundes- noch auf Landesebene vor.”

Vorbild Stockholm?
Mh, das ist schon ein bemerkenswerter Vorgang. Der ganze Aufruhr letztlich umsonst? Viel Lärm um nichts? Einsicht gibt es in der Politik: “Die Einführung einer Maut ist höchstwahrscheinlich aus rechtlichen Gründen derzeit nicht möglich”, erklärte Grünen-Ratsherr Carsten Peters auf Anfrage.

Aber können wir dieses Thema nun einfach abhaken? Im Falle der City-Maut ja. Aber wir sollten einmal grundsätzlich darüber nachdenken, wie Diskurse in der Stadt geführt werden und welche Rolle die Medien dabei spielen. Letztlich hatten wir es mit einer aufgebauschten Phantomdiskussion zu tun, an der die Politik eine Mitschuld trägt. Mit einer recht einfachen Recherche aber hätte klar sein müssen, dass an dem Thema nichts dran ist.

Eines sei an dieser Stelle aber noch erwähnt: Stockholm beispielsweise hat die City-Maut 2006 gegen große Widerstände eingeführt – mit sichtbarem Effekt. Der Verkehr sank in der Rush Hour um 20 Prozent.

Disclaimer: Der Autor befand sich zum Zeitpunkt der besagten Ratssitzung in den Flitterwochen.