Stadtgeschichte(n)

Bremer Platz: Die Uhr tickt

Die Pergola am Bremer Platz kommz weg - nur was kommt danach?

Spätestens Mitte Oktober ist es soweit: Dann wird die Pergola am Bremer Platz abgerissen. Politik und Verwaltung bleiben Lösungen für die Drogenszene schuldig, manche Betroffene reagieren mit Desinteresse, andere mit Nervosität. Spurensuche an einem Ort, den die Münsteraner meiden.

„Was macht ihr hier? Seid ihr Konsumenten?“ Es hat knapp 20 Minuten gedauert, bis sich der erste Neugierige nähert. Wir haben uns am leeren Brunnen, direkt an der Pergola am Rand des Bremer Platzes, ein Plätzchen gesucht. Mitten rein, keine Hemmungen. Etwas Abstand zu den Grüppchen, die über das Gelände verteilt sind. Jetzt sind wir drin und es scheint sichtbar, dass wir hier nicht zum Stammpublikum gehören.

Warum, das wird uns sehr schnell klar. Ein Grüppchen Männer steht zehn Meter entfernt, beäugt uns zwischenzeitlich neugierig bis kritisch. Derjenige, der zu uns kommt, wirkt überraschend gepflegt mit seinem fein ausrasierten Bart. Er ist merklich angetrunken. Ob er noch etwas anderes außer Alkohol konsumiert hat, ist nicht sofort ersichtlich, aber angesichts seines Verhaltens naheliegend. „Ihr seid nicht Konsument? Was macht ihr dann hier? Seid ihr Kripo?“ Wir verneinen. Irritation. „Ihr solltet nicht hier sein. Das ist ein scheiß Platz hier.“ Aber das kommt doch bald alles weg hier. Wie findet er das? „Kann alles weg. Scheiße is hier.“

Lokalpolitischer Evergreen
Einer tiefergehende Diskussion zum Thema ist nicht mehr möglich. Wir beschließen, den Feldversuch zu beenden. Bei manchen Menschen kann Freundlichkeit sehr plötzlich in Aggression umschlagen. Und unsere neue Bekanntschaft ist einer von diesem Schlag. Aber versucht haben wir’s.

Mit dem Umbau des Hauptbahnhofs ist auch wieder das alte Thema Bremer Platz und die dortige Szene in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Die Landmarken AG wird die Ostseite des Bahnhofs neu bebauen und für die Dauer der Bauarbeiten muss die Bremer Straße in Richtung Grünfläche verschwenkt werden. Bedeutet: Die Pergola muss weg, spätestens Mitte Oktober soll der Abriss beginnen. CDU und Grüne im Rat haben ihr Plazet im Frühjahr gegeben, um das Problem mit der Szene auf der Platte sollen sich die Sozialbehörden kümmern. Einzig: Passiert ist bislang nichts.

„Ich find’ das schade, dass das so dumm geplant ist, denn da wird’s Probleme geben“, sagt Frank. Er ist, man weiß das nicht so ganz genau, zumindest früher einmal Konsument gewesen und auf der Platte zumindest gelegentlich. Die gerichtliche Betreuerin seiner Lebensgefährtin hat den Kontakt auf unsere Bitte hin hergestellt, denn wir wollten mit den Betroffenen sprechen und nicht nur über sie. Und wie sieht es in der Szene, diesem amorphen Gebilde, aus? „Da denkt keiener drüber nach, der da rumsteht“, erklärt Frank weiter. „Datt hab ich an der Garage mitgekriegt. Erst wars ‘n Gerücht, dann stand der Bagger da und dann gingen se 100 Meter weiter.“

Menetekel Kleine Bahnhofstraße
Die Garage, das war einmal an der Kleinen Bahnhofstraße, wo einstmals die Westfalen-Tankstelle stand. Die wurde ohne große Ankündigung platt gemacht und auf einmal standen die Menschen, die sich immer in dem Schutz der Garagen aufhielten, für alle sichtbar im Licht. Drogen, Dealerei, Alkohol. Anwohner schreckten auf, die aufgeregte Berichterstattung in der Lokalpresse alarmierte Politik und Polizei.

Was wird denn auf dem Bremer Platz passieren? Was könnte man machen? Frank überlegt. „Ne Lösung wüsst’ ich auch nicht. Die werden ne Straße weiter gehen.“ Der befürchtete Verdrängungseffekt also. Einen festen Platz zuweisen, das könne eine Möglichkeit sein. Nur die Nähe zum Bahnhof müsse gewährleistet sein. Nicht nur wegen der zentralen Lage, sondern weil auch Anlaufstellen wie Indro in der Nähe seien, meint Frank „Hier haben se den Druckraum, viele kriegen ihr Geld dahin und haben soziale Betreuung.“

Der Name Indro wird in der öffentlichen Diskussion immer wieder genannt. Am Bremer Platz, in der kleinen Seitenstraße zur Wolbecker hin, hat zwischen Moschee, Hotel, Dönerbude und Puff auch der Drogenhilfe-Verein seinen Sitz. Dr. Wolfgang Schneider leitet die Instituion, er kennt die Szene wie nur wenige in Münster: „Da gibt es eine gewisse Aufregung. Die, die nix zu verlieren haben, interessiert das allerdings nicht.“ In den Räumlichkeiten von Indro hängen die Pläne aus, die Mitarbeiter sind geschult worden und können die Betroffenen zu den anstehenden Baumaßnahmen beraten.

Indro kein Allheilmittel
Schneider macht sich aber keine Illusionen: „Es wird auf jeden Fall zu Problemen kommen.“ Etwa, wenn sich die Junkies in die Nebenstraßen und die Nischen zurückziehen. Insofern sie einen Rückzugsort suchen. Das sind die, die im Verborgenen konsumieren wollen, die noch ein Schamgefühl haben. Andere sind so weit unten, dass sie sich gut sichtbar für alle den Schuss in die Leiste setzen.

Überhaupt: Was in der Debattte unter „die Szene“ subsummiert wird, ist keineswegs eine homogene Gruppierung. Leid und Elend haben eine enorme Vielfalt. Dealerei, Hehlerei, Prostitution finden letztlich unter den Augen aller statt. Dazu weiche und harte Drogen und viel Alkohol. Das Publikum ist international, hat sich aber gewandelt. Viele neue Gesichter gebe es dort, hören wir immer wieder. Und: Die Platte sei nicht mehr die von vor fünf oder zehn Jahren.

Nur was könnte man denn machen? Was wäre sinnvoll? Schneider warnt vor überzogenen Erwartungen an einen Konsumraum. „Wir versuchen die Leute zu motivieren hierhin zu kommen. Bei manchen ist das aber vorbei.“ Trotzdem wäre eine Ausdehnung der Öffnungszeiten über die werktägliche Spanne von zehn bis 17 Uhr hinaus, also auch auf das Wochenende, sinnvoll. Die Idee an sich ist nicht neu, aber: „Die Stadt hat damals signalisiert, dass kein Geld da wäre.“ Um das Café plus Konsumraum zu öffnen, so Schneiders Ad-Hoc-Kalkulation, brauche man nochmal fünf Mitarbeiter plus Sachmittel – in der Summe rund 80.000 Euro jährlich.

Ratlosigkeit im Rat
Indro ist letztlich nicht nur der Verein mit dem Konsumraum, wo die Süchtigen ihre Spritzen – im Jargon Pumpen genannt – holen und abgeben können. Das Café ist Treffpunkt, eine Gelegenheit, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Für die Sozialarbeit, im konkreten Fall aber auch für uns.

Günther ist einmal wöchentlich in Münster. Ein stattlicher, ansehnlicher Kerl, dem man sein Problem nicht unbedingt ansieht. Er kommt aus Steinfurt zum Substituieren, setzt sich regelmäßig bei seinen Besuchen auch an die Platte. „Gefühlsmäßig ist das schon belastend. Die sagen im Endeffekt das gleiche wie ich: Wir lassen uns nicht vertreiben.“ Roland ist an diesem Tag auch im Café. Er beobachtet die Platte mehr vom Rand aus, wohnt um die Ecke: „Eine räumliche Abtrennung wäre ein gangbarer Weg, damit sich die Leute etwas geschützt fühlen.“

In diese Richtung zielt auch ein Ratsantrag der SPD, der am Mittwoch im Rat behandelt werden soll. Hierin heißt es: „Die Stadt Münster trägt dafür Sorge, dass ein angemessener und ausreichender Teil der bisherigen Freiflächen an der Bahnhofs-Ostseite mit Sichtschutz (z. B. (teiloffener) Pavillon bzw. Zelt) für die sich dort aufhaltenden Personengruppen auch während der Bauphasen gesichert verfügbar bleibt. Dauerhaft sollen für die “Szene” ausreichend Aufenthaltsflächen im Bahnhofsumfeld gesichert werden (…).“

Die Uhr tickt
Ob etwas Greifbares herauskommt, wird die Sitzung am Mittwoch zeigen. Ein Bewusstsein für die Problematik ist jedenfalls vorhanden. „Durch den Umbau wird eine Verdrängung Richtung Berliner Platz und Gleis 22 stattfinden“, warnt beispielsweise der CDU-Ratsherr und Bahnhofsviertel-Intimus Richard-Michael Halberstadt. Man müsse Geld in die Hand nehmen, um das Problem anzugehen.

Nur: In Teilen der CDU und der Verwaltung sieht man das anders. Da wird mit markigen Worten wie „Angstraum“ agiert und davon gesprochen, dass sich die Stadtgesellschaft den Bremer Platz zurückholen müsse. Die Anwohner wollen einfach nur, dass die Leute vor ihrer Haustür verschwinden. Nur so einfach ist das nicht. Diese Menschen sind ein Teil unserer Gesellschaft, auch wenn sie ganz weit untem am Rand stehen. Man kann sie verdrängen, nur verschwinden werden sie deswegen nicht.

Aber diese Situation ist jetzt da. In vier Wochen kommen die Bagger. Konzepte hat die Stadt noch nicht vorgelegt. SPD-Ratsherr Thomas Fastermann warnte bereits vor längerer Zeit vor einer unkontrollierten Situation am Bremer Platz: „Wenn der erste Bagger da steht und die Pergola abreißt, dann verselbständigt sich das.“ Einen Vorgeschmack darauf hat man ja schon an der Kleinen Bahnhofstraße gehabt.

Update 21.09.:
Der Rat hat am Mittwochabend beschlossen, dass die Verwaltung jetzt auf Grundlage des SPD-Antrages einen Vorschlag erarbeiten und den verschiedenen Ausschüssen vorlegen wird. “Wir erwarten, dass das ganze kurzfristig passiert, bevor der Abbruch beziehungsweise die Bauarbeiten an der Ostseite beginnen”, erklärte SPD-Ratsherr Marius Herwig auf Anfrage. “Ziel muss sein, eine Lösung zu finden, bevor die erwartete Verdrängung der Szene beginnt.” Die Sozialdemokraten hatten das Thema bereits in der Ratssitzung im Juni angesprochen.

Mitarbeit: Martin J. Becker